Rede „Macht’s gut! Und danke für den Fisch…“ 24. Juli 202430. Juli 2024 Mit der Verabschiedung des Gemeinderats am 24.07.2024 verabschieden sich Stadträtin Pia Federer nach 35 Jahren und Maria Viethen nach 30 Jahren aus dem Freiburger Gemeinderat. In ihrer Abschlussrede blickt Maria Viethen auf über 30 Jahre Kommunalpolitik zurück und wünscht dem neuen Gemeinderat viel Erfolg. Rede von Stadträtin Maria Viethen zum Abschied von Pia Federer und ihr aus dem Gemeinderat in der Gemeinderatssitzung vom 24.07.2024 Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Buchheit,sehr geehrter Herr Bürgermeister Prof. Haag,sehr geehrter Herr Bürgermeister von Kirchbach,sehr geehrter Herr Bürgermeister Breiter,liebe Kolleginnen und Kollegen,liebe neuen Gemeinderätinnen und Gemeinderäte,sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal meiner Kollegin Pia Federer danken, die es mir großzügig überlassen hat, heute zu Ihnen zu sprechen. Es gibt eine ungeschriebene Regel, dass dies eigentlich das Recht der ausscheidenden Stadträtin ist, die die längste Zeit im Gemeinderat verbracht hat. Ich bin zwar schon 30 Jahre im Gemeinderat, Pia Federer hat aber noch eine Sitzungsperiode mehr hinter sich gebracht. Sie gehört dem Gremium schon seit 1989 an! Fraktionsvorsitzende Maria Viethen (Bild: Britt Schilling) Wir haben in den letzten fünf Jahren ziemlich turbulente Zeiten erlebt. Da war die Corona-Krise. In dieser Zeit hat der Gemeinderat über Monate hinweg überhaupt nicht tagen können. Sie erinnern sich? Wir hatten als erste deutsche Stadt ein Betretungsverbot des öffentlichen Raums. Aber die Stadt ist, mithilfe des Krisenstabs und der Uniklinik, doch gut davongekommen. Wir haben die Grundstücke der Sparkassen-Gesellschaft aufgekauft und den neuen Stadtteil Dietenbach auf den Weg gebracht. Es gab zweimal schwierige Haushaltsberatungen, wobei es trotz allem gelungen ist, einen Fonds mit insgesamt 120 Mio. Euro für zusätzliche Maßnahmen im Klimaschutz in den nächsten 6 Jahren auf den Weg zu bringen. Beschlossen wurde das Konzept FSB 2030 mit dem Bau von 1.000 neuen Wohnungen und einer sozialen Schärfung des Auftrags der Freiburger Stadtbau. Gerungen haben wir um das Anwohnerparken, über den Kommunalen Ordnungsdienst, um die Resolution zur Fortführung der Städtepartnerschaft mit Isfahan, und um eine zukunftsfähige Bodenpolitik, genauer: die ausschließliche Vergabe städtischer Grundstücke im Erbbaurecht. Um nur ein paar wichtige konfliktive Themen zu nennen. Wenn ich den Blick weiter zurücklenke, dann sind viele Dinge, an deren Entstehung sich mittlerweile kaum noch jemand erinnert, in diesem Gemeinderat auf den Weg gebracht worden. Pia und ich haben miterlebt, wie Rolf Böhme den stadteigene Energieversorger FEW zusammen mit anderen südbadischen Kommunen zur Badenova umstrukturiert hat. Wir waren dabei, als gegen unseren erbitterten Widerstand die B 31 Ost mit dem ersten Teil des Stadttunnels auf den Weg gebracht wurde. Die neuen Stadtteile Vauban und Rieselfeld, der Bau des Konzerthauses, die Straßenbahnlinien durch die Basler Straße und über den Rotteckring, die endlose und endlos teure Sanierung des Augustinermuseums, das Museumsdepot, der Bau der neuen Messe, finanziert durch eine Teilbebauung des alten Meßplatzes, und und und… Aber auch: Das Scheitern der biologisch-mechanischen Abfallanlage, die angebliche Abschaffung des Kulturbürgermeisters und die tatsächlich erfolgte zeitweilige Einsparung des Baubürgermeisters, die erste Wahl einer Bürgermeisterin, die massive Gefährdung des städtischen Haushaltes in den Jahren 2005 bis 2007, wo es buchstäblich keinerlei – in Zahlen: Null komma Null – Geld für Investitionen gab, und wir sogar die städtischen Brunnen abgestellt haben, auch um den Menschen zu zeigen, wie ernst die Lage ist. Daraufhin der durch den Bürgerentscheid gestoppte Verkauf der Freiburger Stadtbau und der Masterplan zur Sanierung des Haushalts…. Eigentlich will ich aber weniger Rückschau halten, sondern lieber den Kolleginnen und Kollegen, die die Arbeit hier fortsetzen, und denen, die neu dazugekommen sind, ein paar gute Ratschläge erteilen. Ja, das müssen Sie jetzt einfach aushalten. Klimaschutz, Klimaanpassung, der Kampf gegen das Artensterben, das sind keine grünen Hobbys. Es geht vielmehr um den Beitrag dieser Stadt zu dem weltweiten Kampf gegen die drohende Klimaerwärmung. Das kann nur gelingen, wenn es von allen hier im Gemeinderat vorangetrieben wird. Auf dem Papier haben wir ehrgeizige Klimaziele beschlossen. Es wird große Anstrengungen erfordern, um diese Ziele dann auch in der Realität umzusetzen. Und es wird Zumutungen für die Menschen in der Stadt geben, die wir nicht alle abfedern können. Die Annahme, dass die Klimawende nichts kostet, sei es Geld, sei es eine Umstellung der persönlichen Lebensweise, lieb gewordener Gewohnheiten, eine solche Annahme ist schlicht abwegig. Lesen Sie die Prüfberichte des Rechnungsprüfungsamtes und der Wirtschaftsprüfer. Ehren Sie das Rechnungsprüfungsamt! Das ist das einzige Amt, über das der OB keine Weisungsbefugnis hat. In der Vergangenheit haben damit seine Vorgänger schon Überraschungen erlebt, wenn sie zwar mit dem gebotenen Respekt, aber doch sehr deutlich auf Versäumnisse und Fehlentscheidungen hingewiesen wurden. Und trotzdem: arbeiten Sie mit der Verwaltung zusammen. Wir haben nicht nur redegewandte und kompetente Menschen auf der Bürgermeisterbank, sondern hervorragende Amtsleiterinnen und Amtsleiter, Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, Abteilungsleitungen, SachbearbeiterInnen. In der Verwaltung arbeiten Menschen mit großer Motivation an der Umsetzung der Ziele, die der Gemeinderat vorgibt. Kontrolle und Kritik sind notwendig und wichtig, aber stets mit Respekt vor den handelnden Personen. Halten Sie Ihr Geld, pardon, das Geld der Stadt, zusammen! Wenn Sie große Projekte vor der Brust haben – Klimawende, sozialen Wohnungsbau über die Stadtbau, Ausbau des ÖPNV, ein neues Gymnasium, Sanierung der Schulen usw. – können eben nicht alle Wünsche der Bürgerschaft auf laufende Zuschüsse erfüllt werden. Was Sie beim laufenden Aufwand ausgeben, ist nachher nicht mehr da, um Investitionen zu finanzieren. Und, das darf ich jetzt ja einmal offen aussprechen, bei der Prioritätensetzung der Projekte sehe ich, ehrlich gesagt, bei aller Sympathie für den EHC eine neue Eishalle für 40 oder noch mehr Millionen erstmal nicht. Ja, ich weiß, es gibt einen Sponsor, aber schauen Sie genau hin, ob das echtes Sponsoring ist. Wer einerseits ständig das Sparen predigt, dann aber solche Projekte priorisiert, macht sich einfach unglaubwürdig. Seien Sie ein Bollwerk gegen Demokratiefeindlichkeit und Politikverdrossenheit. D.h. auch: Versprechen Sie nichts, was sie nicht halten können! Und reden Sie den Menschen nicht nach dem Mund. Treten Sie ein gegen die Diskriminierung von Minderheiten, äußern Sie sich mutig gegen Islamfeindlichkeit und Antisemitismus. So etwas hat in unserer Stadt keinen Platz. Dass Sie sich für Minderheiten einsetzen und die Gleichberechtigung von Frauen und queeren Menschen muss ich dem künftigen Gemeinderat in dieser Besetzung wohl nicht eigens ans Herz legen. Aber, das sage ich jetzt nur zu 46 Mitgliedern des künftigen Gemeinderats: Sorgen Sie weiter dafür, dass die AfD in diesem Gemeinderat nicht die Themen setzt und den Ton vorgibt. Ich finde es menschlich nach wie vor äußerst schwierig, Gemeinderatskollegen von einem guten Miteinander auszuschließen. Aber solange diese Kollegen für eine Partei stehen, die frauenfeindlich ist, die homophob und offen rechtsradikal agiert, und deren Flüchtlingspolitik von einer menschenverachtenden Kälte geprägt ist, sehe ich einfach keinen anderen Weg. Treffen Sie gute Entscheidungen. Hier wird niemand reich und auch nicht wirklich berühmt. Wenn Sie das Gremium verlassen, sind Sie nur noch eine blasse Erinnerung, das Tagesgeschäft geht weiter. Eine gute Entscheidung bringt nicht unbedingt Sie oder ihre Fraktion weiter, sondern dient den Interessen der Stadt. Eine gute Entscheidung folgt auch nicht unbedingt den Interessen der Menschen, die ihre Ziele am lautesten vorbringen. Legen Sie sich nicht zu früh fest. Sorgen Sie dafür, dass es eine Möglichkeit gibt, sich mit den Kolleginnen und Kollegen im Gemeinderat zunächst einmal nicht öffentlich über Themen auszutauschen, die neu diskutiert werden. Wer sich zu früh festlegt, kann nicht mehr zurück. Und manchmal ist das Argument der Gegenseite richtig. Sie sollten unbedingt vermeiden, richtigen Argumenten nicht zu folgen, nur weil sie aus dem Mund eines anderen kommen. Ich gebe zu, das habe ich auch nicht immer beherzigt. Aber gute Vorsätze sind immer richtig. Und zu guter Letzt: Genießen Sie das Amt! Sie haben die einmalige Gelegenheit, Orte, Sachverhalte und Personen kennen zu lernen, denen Sie ansonsten nie im Leben begegnet wären. Sie können daran mitwirken, dass wichtige Entscheidungen für die Stadt über Jahre hinweg in vielen kleinen Schritten vorangetrieben werden. Schließen Sie politische Freundschaften! Werden Sie stark aus Niederlagen, halten Sie sich im Zaum im Augenblick des Triumphs! Wir spielen hier miteinander ein sehr anspruchsvolles und kompliziertes Gesellschaftsspiel. In diesem Spiel haben auch die Verwaltung, die Bürgermeister-Bank, die sozialen Medien und die Presse ihre Rollen. Und natürlich auch die vielen Menschen, Einrichtungen und die Initiativen im sog. vorpolitischen Raum. Das ist jetzt die sechste Zusammensetzung des Gemeinderates, die ich erlebt habe, und die sich ja nach jeder Wahl wieder ändert. Aber jedes Mal ist das Gremium dann auf eine seltsame Weise zusammengewachsen und bildet in mancher Hinsicht trotz der unterschiedlichen Herkunft und den unterschiedlichen politischen Ziele auch eine verschworene Gemeinschaft. Da hat nach kurzer Zeit jede und jeder ihren oder seinen Platz. Nach einem Jahr wissen wir, wie alle ticken, welche Lieblingsthemen wer hat, ob sie oder er gut und überzeugend sprechen kann oder eher langweilt. Die großen Erwartungen der WählerInnen, der enorme Arbeitsdruck, die Überfülle der Themen und die Notwendigkeit, einerseits Ziele durchzusetzen, aber sich oder die Fraktion dann auch nach außen zu profilieren, die sind für alle gleich. Demokratie ist halt ein mühsames Geschäft! Von der Idee eines Projektes bis zur Umsetzung dauert es manchmal viele Jahre. Es müssen Mehrheiten gefunden werden, das ursprüngliche Anliegen wird verwässert, dann muss es noch einmal in die Ausschüsse, dann wurde vergessen, Betroffene zu beteiligen, und, wenn man Pech hat, gibt es dann zum Schluss kein Geld mehr. Ich freue mich sehr, dass sich heutzutage so viele junge Menschen für den Gemeinderat bewerben und dieses komplizierte Prozedere mitmachen. So etwas macht Demokratie – nicht nur im Gemeinderat, sondern auf allen politischen Ebenen – schwerfällig und langsam, aber andererseits auch weniger fehleranfällig. Falsche Entscheidungen können, wenn man es denn will, auch zurückgenommen werden. Tja, und wie beendet man eine solche Rede? Ich könnte es mit einem Zitat aus Douglas Adams Buch „Per Anhalter durch die Galaxis“ versuchen. Das heißt so: „Macht’s gut und danke für den Fisch“. Jetzt sind wahrscheinlich alle wieder wach und fragen sich: Was denn für ein Fisch? Ich wollte einfach mal etwas sagen, an das Sie sich auch noch in zwei Wochen erinnern, auch wenn der Rest der Rede längst vergessen ist. Tatsächlich ende ich dann doch lieber klassisch: Ich bedanke mich von Herzen für die große Unterstützung, die wir bei der politischen Arbeit hier im Gemeinderat erfahren haben. Angefangen von der Bürgermeisterbank und den Dezernatsbüros, den Amtsleiterinnen und Amtsleitern und ihrer Mann- und Frauschaft, den GeschäftsführerInnen der städtischen Gesellschaften und der MitarbeiterInnen dort, vom Ratsbüro, von der Kantine und den Damen, die für unser leibliches Wohl gesorgt haben, bis zu den Hausmeistern und dem Reinigungsdienst, die hinter uns aufgeräumt haben. Wir alle, die heute aus dem Gemeinderat ausscheiden, gehen mit großer Wehmut. Wir wünschen den Bleibenden viel Erfolg für die nächsten fünf und viele weitere Jahre. Es war uns eine Ehre, am Geschick der Stadt Freiburg mitzuarbeiten und einen kleinen Beitrag leisten zu dürfen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
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