„Starker Auftrag genau das umzusetzen, was wir besprochen haben“

Nach einem bis zuletzt spannenden Wahlkampf hat Freiburg beim Bürgerentscheid für einen neuen Stadtteil Dietenbach gestimmt. Wieso der Gemeinderat jetzt bei der gesamten Bürgerschaft im Wort steht begründet Stadträtin Maria Viethen in ihrer Rede im Gemeinderat. 

Rede von Stadträtin Maria Viethen zu TOP 1 der Gemeinderatssitzung vom 26.02.2019: Dietenbach

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herrn!

Wir alle hier haben spannende, aber auch sehr aufreibende Wochen hinter uns. Vielen Dank an alle, die in den letzten Wochen für den Stadtteil geworben haben. Ein großes Lob auch an die Verwaltung.  Eine deutliche Mehrheit der Freiburger Bürgerinnen und Bürger hat uns den Auftrag gegeben, den neuen Stadtteil Dietenbach nun auch weiter voranzutreiben. Ich will sofort betonen: Dieser Auftrag geht an alle Mitglieder*innen des Gremiums, also auch an die, die sich bei den Beschlüssen des Gemeinderates gegen den Bau von Dietenbach ausgesprochen haben und im Wahlkampf die Kritikerinnen und Kritiker des Vorhabens unterstützt haben. Ich erwarte auch von diesen fünf Mitglieder*innen des Gemeinderates, dass Sie dieses Votum der Bürgerschaft ernst nehmen (und nicht versuchen, das Projekt zu hintertreiben).

Fraktionsvorsitzende Maria Viethen (Bild: Britt Schilling)

Allerdings haben auch 40 % der Menschen, die ihre Stimme beim Bürgerentscheid abgegeben haben, gegen den neuen Stadtteil votiert. Das gilt es politisch zu bewerten. Vorab schon einmal: meiner Meinung nach werden die Auswirkungen auf die kommende Kommunalwahl sicherlich begrenzt sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die, die gegen den Bau von Dietenbach votiert haben, in drei Monaten alle die Liste von Freiburg Lebenswert unterstützen oder sogar die AFD wählen. Im Gegenteil gehe ich davon aus, dass das Ergebnis des Bürgerentscheids gerade auch ein starker Auftrag an die anderen Fraktionen im Gemeinderat ist, genau das umzusetzen, was wir besprochen haben. Aber das werden wir ja in drei Monaten sehen.

Bemerkenswert ist ja, dass die Argumente, die bei diesem Bürgerentscheid für einen Erfolg der Gemeinderatsmehrheit geführt haben, im ursprünglichen Verwaltungsentwurf nicht verankert waren. Es waren dies genau die Zielvorstellungen, die der Gemeinderat formuliert hat, und die uns bei den vielen Diskussionen, die wir geführt haben, dabei geholfen haben, die Bürgerschaft zu überzeugen.

–      Zum einen nämlich, dass wir einen neuen Stadtteil mit dem ausdrücklichen Ziel bauen, preiswerte Wohnungen für Bezieher*innen von niedrigen und mittleren Einkommen zur Verfügung zu stellen. Dieses Ziel hat der Gemeinderat eindrücklich untermauert durch die Quote von 50 % geförderten Mietwohnungen, die wir für den neuen Stadtteil vorsehen, darüber hinaus jedoch auch weiteren sog. preisgedämpften Wohnraum und geförderte Eigentumsmaßnahmen.

–      Dies war zum zweiten das Ziel, angesichts der weltweiten Bedrohung durch den Klimawandel und angesichts der ehrgeizigen Klimaziele der Stadt, einen Stadtteil zu bauen, der im Betrieb mindestens klimaneutral ist. Denn wenn wir schon in der Region Südbaden, wo es großen Zuzugsdruck gibt, bauen müssen, um die Menschen zu versorgen, dann in umweltpolitischer Hinsicht doch besser nah bei der Stadt, in einem kompakten Stadtteil, mit einem umweltfreundlichen Verkehrskonzept, mit einer bislang noch nie gesehenen klimaneutralen Energie- und Wärmeversorgung, mit biologisch aufgewerteten Grünflächen und vor allen Dingen mit möglichst wenig Flächenverbrauch.

Und siehe da: Seit der Gemeinderat solche Ziele vorgegeben hat, sprießen überall kreative Ideen, wie das umzusetzen ist, beispielsweise was alternative Bau- und Wohnformen angeht, oder aber das erstaunliche Energie- und Wärmekonzept, das die Verwaltung zusammen mit vier Beratungsfirmen durchgerechnet und vorgestellt hat.

Bei den Diskussionen an den Wahlkampfständen und im Internet kam immer wieder das Argument, dass diese Ziele nicht umgesetzt werden, wenn der Bürgerentscheid vorbei ist. Dies wird manche bewogen haben, gegen eine Bebauung von Dietenbach zu stimmen. Auch deshalb stehen wir hier im Gemeinderat bei der gesamten Bürgerschaft im Wort, genau diese ehrgeizigen Ziele weiterzuverfolgen und umzusetzen. Wir alle, die wir diese Ziele beschlossen haben, werden mit all unserer Kraft dafür einstehen, dass dies auch Wirklichkeit wird. Und ich bin überzeugt davon, dass diese Ziele technisch machbar und auch finanzierbar sind.

Eines der schönsten öffentlichen Statements in diesem Wahlkampf kam vom SC-Trainer Christian Streich. Er hat nicht nur noch einmal mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass wir Wohnungen brauchen für Menschen, die harte Arbeit tun, auf die die Gesellschaft angewiesen ist, und die dabei doch – anders als ein Fußball-Trainer in der 1. Bundesliga, der ja auch hart arbeitet – ziemlich wenig verdienen. Also Krankenschwestern, Busfahrerinnen, Altenpfleger, Erzieher, Polizistinnen und viele mehr. Christian Streich hat in seiner unnachahmlichen Art auch etwas sehr Nachdenkenswertes zu Bürgerentscheiden insgesamt gesagt, nämlich schlicht, dass es nicht zu viele werden sollten. Es gibt nämlich auf die Frage eines Bürgerentscheides immer nur ein Ja oder Nein, kein vielleicht, kein »wenn, dann« und keinen Kompromiss. Und dies trägt dazu bei, das Bürgerentscheide zumindest die Grundlage dafür legen können, eine Stadtgesellschaft lange Zeit zu spalten. Wahrscheinlich hält sich auch bei diesem Bürgerentscheid jede Seite für diejenige, die die vernünftigeren Argumente für Ihre Ziele geliefert hat, während die andere sich in unverantwortliche Beweisführungen hineingesteigert habe. Zum Schluss war der Ton ja auch tatsächlich ziemlich rau.

Es gilt nun wieder, aufeinander zuzugehen und Respekt zu zeigen für die Motive und das Engagement der jeweils anderen Seite. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Grünen, die ja durchaus viele Argumente der Gegner*innen von Dietenbach teilen, und denen die Unterstützung eines so großen Bauprojektes im Außenbereich sehr schwer gefallen ist. Beispielsweise gehört es ja durchaus zu den fundamentalen grünen Zielen, den Flächenverbrauch zu stoppen, oder etwa massive Anstrengungen zu unternehmen, und den Verfall der Biodiversität aufzuhalten. Die Grünen gehörten ursprünglich nicht zu den Fraktionen, die den Bau eines neuen Stadtteils beantragt haben, gerade weil wir befürchtet haben, dass dadurch Motivation und Druck in Richtung Innenentwicklung und Nachverdichtung nachlassen könnten. Wir haben uns erst nach einem längeren Abwägungsprozess dazu entschlossen, dem Bau eines neuen, klimaneutralen Stadtteils als die ökologischere Handlungsvariante zu unterstützen.

Und auch die Landwirte haben ja durchaus recht mit ihrer Argumentation, dass zwar vielleicht am Ende alle Betriebe, die Land auf dem Dietenbachgebiet bewirtschaften, Ersatz bekommen. Dass jedoch auf jeden Fall die absolut vorhandene Menge der landwirtschaftlichen Fläche in der Region durch den Bau von Dietenbach verringert wird. Es ist richtig, dass man Beton nicht essen kann, und dass wir die kleinteilige regionale Landwirtschaft stützen müssen, wenn wir die regionale Versorgung der städtischen Bevölkerung mit Lebensmitteln, vor allen Dingen mit biologisch produzierten Lebensmitteln, stärken, und damit den ökologischen Fußabdruck eingrenzen wollen. Es ist aber genauso richtig, dass noch mehr landwirtschaftliche Fläche versiegelt würde, wenn statt in Dietenbach im Umland gebaut würde.

Trotz der zuletzt sehr zugespitzten emotionalen Diskussion denke ich, dass es durchaus auch sehr positive Effekte gab. Beispielsweise habe ich mich sehr gefreut zu erfahren, für wie viele Bürgerinnen und Bürger umweltpolitische Themen wie Klimaschutz und Flächenverbrauch ein ernstes Anliegen sind. Und ein solcher Wahlkampf ist auch die Gelegenheit für den Gemeinderat, der wir ja alle in unsere internen Auseinandersetzungen verstrickt sind, bei einem so hochkomplexen Thema den Bürgerinnen und Bürgern die Beweggründe für unsere Entscheidung darzulegen.

Alles in allem bin ich zufrieden mit diesem Wahlkampf und sehr erleichtert über das Ergebnis des Bürgerentscheids. Freiburg will sich nicht abschotten, sondern eine offene Stadt bleiben, die jungen Familien, Menschen mit kleinerem Geldbeutel und auch Menschen aus anderen Gegenden und Ländern eine Heimat sein will. Und eine Stadt, die die großen Herausforderungen der Urbanisierung, vor denen ja nicht nur wir, sondern viele Kommunen in Deutschland stehen, die diese Herausforderungen aktiv angehen und gestalten will. Das empfinde ich als Bestätigung und Auftrag.