Straßenumbenennung – „Das kollektive Vergessen ist nicht weniger politisch als das kollektive Erinnern“ 

Stadtrat Lars Petersen (Bild: Britt Schilling)

Nach umfänglicher Prüfung der Freiburger Straßennamen hat der Gemeinderat heute beschlossen, zwei Straßen und einen Platz in der Stadt umzubenennen. Gegen das Vergessen werden die neuen Straßenschilder mit Tafeln versehen, auf denen der ehemalige Straßenname und der Grund für die Umbenennung erläutert werden.

Rede von Lars Petersen zu TOP 4-6 „Benennung von Straßen, Wegen und Plätzen“ der Gemeinderatssitzung vom 3. März 2020

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, 

liebe Kolleginnen und Kollegen,

Der Gemeinderat hat in seiner Sitzung im November 2012 eine wissenschaftliche Überprüfung aller ca. 1300 Freiburger Straßennamen und Plätze beschlossen. Schon damals war die zentrale Frage, ob heutige Moral- und Rechtsvorstellungen alleingültiger Maßstab der Bewertung sein können. 

Straßennamen mögen für die Bürgerschaft – und erst Recht die Anwohnerinnen und Anwohner – in erster Linie bloße Ortsbezeichnungen sein. 

Straßennamen, also solche jenseits von „C4“ wie in Mannheim oder meiner Heimatadresse „Kastanienallee“ (in der man übrigens vor 30 Jahren Birken gepflanzt hat) haben aber hohe Identifikationswerte. Sie dienen als kollektives Gedächtnis einer Kommune und sind ein Teil der Geschichte einer, unserer Stadt.

Sind Straßen nach Personen benannt, ist damit auch zwingend eine Ehrung des Namensgebers verbunden. In diesem Sinne sind Straßen Erinnerungsorte für die politische Gemeinschaft einer Gemeinde. Die Benennung einer Straße nach einer Person dient damit der zeitgenössischen politischen Identitätsstiftung.

Diese Ehrung wirkt aber gleichzeitig in die Zukunft. Sie färbt nicht nur auf die zur Zeit der Benennung und später in dieser Straße lebenden Menschen ab, sondern auf alle künftigen Bewohnerinnen und Bewohner der Gemeinde. Die Namensgeber und Namensgeberinnen sind und bleiben damit auch ein Spiegelbild der aktuellen Gesellschaft und der Werte, die diese offensichtlich für ehrenswert hält. Mit der Benennung, hier besser Nicht-Umbenennung einer Straße würden wir als Stadt z.B. weiterhin Martin Heidegger würdigen und in ihm immer noch einen Teil unserer politischen Identitätsstiftung sehen.

Ich möchte das nicht.

Die Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Straßennamen findet dabei im politischen Raum statt; das gilt auch für die Entscheidung, eine Straße umzubenennen, denn hier wird der Name aus dem kollektiven Bewusstsein der politischen Gemeinschaft ausgeschieden. Das kollektive Vergessen ist aber nicht weniger politisch als das kollektive Erinnern. 

Um das aber an dieser Stelle gleich festzuhalten: Es geht nicht um ein Vergessen oder eine Verdrängung der deutschen Vergangenheit, auch nicht darum, begangenes Unrecht ungeschehen zu machen – wie das ja in zahlreichen Eingaben von Anwohnern der Hindenburgstraße zu lesen war. Im Magazin Cicero war über Freiburg sogar zu lesen, man wolle Geschichte „ausradieren“ – und ein Altstadtrat verunglimpft die Kommission sogar als „Straßennamen-Reinigungs-Kommission.“

Davon kann keine Rede sein.

Alle neuen Straßenschilder werden mit erläuternden Texten versehen sein, die daran erinnern, wie die ehemalige Benennung lautete und aus welchen Gründen man eine Umbenennung vorgenommen hat. 

Ein weiteres Argument gegen die Umbenennung von Straßen ist, dass allenfalls ein „basisdemokratischer Entscheid der Bewohner“ (auch das ein Anwohner-Zitat) eine Umbenennung legitimieren würde. 

Dieser Einwand ist falsch.

Nach § 5 Abs. 4 GemO ist die Benennung von Straßen, Wegen oder  Plätzen eine Angelegenheit der Gemeinde. 

Eine Straßenumbenennung ist deshalb eine Entscheidung, die im politischen Raum stattfindet. Der Gemeinderat ist hierfür das zur Entscheidung berufene Gremium.

Die Stadt hat die Anwohnerinnen und Anwohner der Hindenburgstraße angeschrieben und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Von den 235 eingegangenen Rückmeldungen haben sich immerhin 90 für eine Umbenennung ausgesprochen. Darüber hinaus wurde im November noch eine Informationsveranstaltung im Deutsch Französischen Gymnasium durchgeführt.

Eine Straßenumbenennung ist aber lediglich eine Allgemeinverfügung. Von einer Anhörung der davon Betroffenen hätte deshalb sogar ganz abgesehen werden können.

Ich möchte mich bei der Stadt deshalb für diese Form der Bürgerbeteiligung ausdrücklich bedanken.

Eine Straßenumbenennung steht also im Ermessen des Gemeinderats – es gibt kein Vetorecht der Anwohnerinnen und Anwohner. Der Gemeinderat hat bei der Auswechslung eines Straßennamens eine sehr weitgehende Gestaltungskompetenz. Grenzen wären z.B. unaussprechbare Namen oder Umbenennungen alle 2-3 Jahre. Das Verwaltungsgericht Freiburg hat vor wenigen Tagen entschieden, dass der Beschluss zur Umbenennung der Lexerstraße in zulässiger Weise innerhalb dieses Gestaltungsspielraums getroffen wurde.

Schließlich noch kurz zum angeblich „völlig unangemessenen bürokratischen Aufwand“. 

Die Stadt hat zugesagt, für die Änderung erforderlicher Papiere keine Gebühren zu erheben. Die den Anwohnerinnen und Anwohnern zusätzlich entstehenden Kosten durch Mitteilung von neuen Adressen an Arbeitgeber, Versicherungen, Banken, Schulen – was auch immer, sind – so sagt es die Rechtsprechung – „gelegentlich eintretende Kosten des allgemeinen Geschäftsbetriebs“. Das Porto dafür wird 50,00 € kaum überschreiten. Das kann man schwerlich als unverhältnismäßig bezeichnen.

Zu den 3 Personen, um die es heute geht, beziehe ich mich auf die Ausführungen der Historikerkommission und möchte mich für jeden der drei nur auf kurze Anmerkungen bzw. Zitate beschränken:

Heidegger äußerte sich beispielsweise so:

„Der Führer hat eine neue Wirklichkeit erweckt, die unserem Denken die rechte Bahn und Stoßkraft gibt.“

 „Das Weltjudentum, aufgestachelt durch die aus Deutschland hinausgelassenen Emigranten, ist überall unfassbar und braucht sich bei aller Machtentfaltung nirgends an kriegerischen Handlungen zu beteiligen, wogegen uns nur bleibt, das beste Blut der Besten des eigenen Volkes zu opfern.“

Heidegger hat übrigens nach dem Krieg beharrlich über seine nationalsozialistische Verstrickung geschwiegen, kein Wort der Entschuldigung, keinerlei selbstkritische Aufarbeitung. 

Hindenburg unterschrieb – ohne Zwang – die 

  • „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat –  auch „Reichstagsbrandverordnung“ genannt. Exilhistoriker nannten sie schon im Krieg die „Verfassungsurkunde des Dritten Reiches“.
  • und das Ermächtigungsgesetz, mit dem die gesetzgebende Gewalt faktisch vollständig an Adolf Hitler überging. 

Das Ermächtigungsgesetz war die Grundlage zur Aufhebung der Gewaltenteilung und ermöglichte alle darauf folgenden Maßnahmen zur Festigung der nationalsozialistischen Diktatur. 

 Aschoff war seit 1910 im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene und ließ sich 1933 wie folgt aus:

Ich habe inzwischen über den neuen Staat nachgedacht. Wir alle müssen ihn stützen und fördern. Er ist der letzte Hort vor dem Bolschewismus. Und es geht um unser Volk, nicht aber um die Intellektuellen 

Zu Aschoff noch ein paar kurze Anmerkungen: Ludwig Aschoff war zweifelsohne ein bedeutender Pathologe. Seine medizinischen Leistungen sollen nicht geschmälert werden. Noch viel weniger sollten aber die Leistungen der Schulgemeinschaft des Friedrich-Gymnasiums geschmälert werden, die den Vorschlag gemacht hat, den Platz künftig nach ihrem ehemaligen jüdischen Mitschüler Heinrich Rosenberg zu benennen, der 1942 in Auschwitz ermordet wurde. Heinrich Rosenberg hat es auch nicht nötig, von medizinischen Fachkollegen Aschoffs gegen eine Verwechslung mit dem Nazi-Kriegsverbrecher Alfred Rosenberg in Schutz genommen zu werden – wie gestern (02.03.2020) in der Badischen Zeitung zu lesen war. 

Ich freue mich deshalb darüber, dass aus dem Martin-Heidegger-Weg, dem Ludwig-Aschoff-Platz und der Hindenburgstraße künftig 

der Obere Harbuckweg, der   Heinrich-Rosenberg-Platz  und die Otto-Wels-Straße werden. 

Die den Straßenschildern beigefügten Erläuterungen zeigen beispielhaft, dass gerade keine Rede davon sein kann, dass hier Geschichte ausradiert wird, sondern dass wir uns als Stadt unserer Geschichte bewusst stellen. 

Für die Hindenburgstraße freut es mich besonders, so kann Freiburg nämlich mit meiner Heimatstadt Kiel gleichziehen. Dort wurde das Hindenburgufer, eine Prachtstraße an der Kieler Förde, schon vor einigen Jahren in Kiel-Linie umbenannt.

Wir werden den Beschlussvorlagen daher zustimmen.