Rede zu TOP 5 der Sitzung des Gemeinderates am 06.05.2025: „Einführung einer ‚Freiburger Mehrwegoffensive‘ und Entscheidung über den Erlass einer Verpackungssteuersatzung“ (G-25/084 und G-25/084.1)
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Bürgermeisterbank, liebe Anwesende,
heute geht ein langer Aushandlungsprozess zu Ende.
Für das Verpackungsmüllproblem dieser Stadt haben wir einen mehrheitsfähigen Kompromiss gefunden, der die Notwendigkeit der Müllvermeidung und das Bedürfnis nach einer sauberen Innenstadt zusammenbringen soll mit dem Anspruch der ökologischen Marktwirtschaft und einer für Betriebe und Konsumenten möglichst praktischen Umsetzung.

Dieser Prozess läuft schon lange. Angesichts der intensiven Debatte und Kampagnen in den letzten Wochen, habe ich mir die Mühe gemacht, den historischen Verlauf genauer in Augenschein zu nehmen und ich möchte gern mit Ihnen teilen, was ich gefunden hab. Nämlich:
„Der Freiburger Gemeinderat fasst mit großer Mehrheit einen Grundsatzbeschluss für die Einführung einer kommunalen Verpackungssteuer zum 1.1.1996 (!).“
Wir schreiben den 13.12.1994. Wir wissen alle, so kam es dann aus juristischen Gründen vorerst nicht. Aber: Kaum 30 Jahre später wären wir dann so weit.
1994 steht in der Drucksache übrigens, dass von der Gastro und der IHK bemängelt wurde, dass es noch nicht genug Zeit gab, Mehrwegalternativen zu entwickeln und sie deshalb große Probleme befürchten…
Es gibt den schönen Spruch: „Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich“.
30 Jahre also zwischen dem Grundsatzbeschluss und der Einführung der Satzung.
Der Fortschritt – mal wieder eine Schnecke.
Das Einweg-Müllproblem ist seither geblieben bzw. hat sich seit 1994 sogar massiv verschärft und auch die Argumente sind erstaunlich unverändert. Das umweltpolitische Argument ist das sogenannte Verursacherprinzip: Es besagt, dass die Verursacher für die Umweltschäden aufkommen müssen, indem interne und externe Kosten auf sie übertragen und somit zu privaten Kosten werden. Einfach gesagt: Wer Dreck macht, macht ihn weg. Dabei ist egal, ob die Firma Öl fördert oder FCKW verwendet oder nur Plastikverpackungen nutzt. Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich, denn mit dieser Regel kommt jedes Mal relativ schnell die Erkenntnis, dass die Umweltschäden unbezahlbar groß sind und wir so nicht weiter wirtschaften können.
Ich sag Ihnen eins: Zu dieser Erkenntnis kommt niemand, solange jemand anders den Dreck weg macht. Diese tiefere Weisheit bringt bislang nur das Verursacherprinzip. Auch in Freiburg tragen bisher nicht die Unternehmen und verursachenden Konsumenten die Entsorgungskosten für den Verpackungsmüll, sondern die geduldige Allgemeinheit der Steuer- und Müllgebührenzahler und hier setzen wir an.
Die Wirtschaft klagte in jedem der oben genannten Fälle in doppelter Hinsicht: Klagen über Belastung (Bürokratie, Gewinneinbußen und mangelnde Prüfung von freiwilligen Alternativen) und Klagen im juristischen Sinne, in denen Vertreter des öffentlichen Interesses (so wie wir als Kommune) bis zur letzten Instanz durch aufwendige Gerichtsverfahren gezwungen wurden.
Im Falle unserer kleinen Freiburger Verpackungssteuer sind wir dankbar für das Engagement aus Tübingen, das uns den seltenen Luxus einer hundertprozentigen Rechtssicherheit beschert. Dieses Gut ist von der Kommune Tübingen gegen McDonalds teuer erkauft. Jedem Antrag, der die Untergrabung dieser Rechtssicherheit forciert, erteilen wir eine deutliche Absage.
Die CDU hat vor 30 Jahren übrigens gesagt, sie würden die Steuer gern 1997 einführen, nämlich so bald hoffentlich Rechtssicherheit besteht. Für die CDU kommt dieser Satzungsbeschluss also nur 29 Jahre zu spät, ich lade sie mit Blick auf die Rechtssicherheit entsprechend herzlich ein, heute zuzustimmen…
Ein sauberer öffentlicher Raum ohne Müll ist insbesondere für die wichtig, die kein grosses Wohnzimmer, keinen Garten und keinen Balkon haben. Die soziale Frage, die von der Verpackungssteuer berührt wird, ist nicht der Lebensmittelpreis. Der bleibt gleicht. Die Privatisierung der Kosten trifft den unnötigen Verpackungsmüll, nicht das Essen. Diese Steuer MUSS niemand bezahlen, ob Kaffee, Eis, Döner oder Fleischkäseweck: Alles kann zum Beispiel auch steuerfrei vor Ort statt unterwegs verspeist werden.
Die soziale Frage beim Verpackungsmüll auf den Dönerpreis reduzieren zu wollen, ist irreführend, vielleicht an der Grenze zu zynisch.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle noch zwei Sätze vorlesen, sie stammen aus einem Brief vom Sommer 1994 an die Verwaltung:
„Sehr geehrter Dr. Heller (damaliger Umweltbürgermeister),
Das kürzlich ergangene Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes (Zur Verpackungssteuer), (das es den Kommunen erlaubt, eine eigene Steuer auf die Verwendung von Einweggeschirr und Getränkedosen zu erheben), verbessert in meinen Augen die Chancen der Kommunen, in ihrem Einflussbereich ein Stück mehr ökologische Marktwirtschaft zu verwirklichen. Statt mit immer neuen Auflagen, Grenzwerten und Verboten die Wirtschaft und das Dienstleistungsgewerbe in seiner Innovations- und Wirtschaftskraft zu lähmen können so gezielt Lenkungseffekte für eine stärkere Beachtung ökologischer Interessen erreicht werden.
Ich bitte Sie zu prüfen, inwieweit auch für Freiburg die Einführung einer solchen Maßnahme sinnvoll und effektiv wäre …“
Der Brief stammt von Herrn Terber – Damaliger Freiburger Bundestagskandidat nicht etwa der Grünen, sondern der FDP. Gemeinsam mit der SPD gehörten sie damals zu den Unterstützern der dann von der Verwaltung vorgeschlagenen Verpackungssteuer.
Die SPD schreibt im Amtsblatt 1994 nach dem Beschluss stolz:
„Eine solche Steuer war von der SPD beantragt worden! Wenn jetzt gejammert wird, eine solche Steuer sei für manche Unternehmen existenzbedrohend, so können wir darauf nur antworten: Eine Frist von über einem Jahr ist ausreichend lang, um sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. Wer erinnert sich noch daran, wie sich manche vor dem Mehrweggebot bei Straßenfesten und Stadtteilhocks gefürchtet haben (Huch, damals schon?!)? Die Befürchtungen reichten vom Verschwinden dieser Veranstaltungen bis zum Ausbruch von Seuchen wegen mangelnder Hygiene. Heute ist das Mehrweggebot allseits akzeptiert. Nicht anders wird es bei der Verpackungssteuer sein: Ein Gewinn für die Umwelt und ein Gewinn für die Kultur, und das ohne Mehrkosten für die Allgemeinheit.“
Liebe SPD, das hätte ich selbst nicht schöner sagen können.
Das mit den Seuchen fand ich besonders witzig, das kam bestimmt von der IHK. Apropos. Zu der damaligen Grünen Fraktion, die diesen Stein ins Rollen brachte, gehörte niemand anderes als mein fast auf den Tag genau 30 Jahre älterer lieber Parteikollege sowie Amtsvorgänger: der damalige Freiburger Stadtrat Dr. Dieter Salomon. (Er hat sehr gelacht als ich ihn angerufen hab, ich soll schön grüßen).
Warum dieser Rückblick? Weil ich denke, dass er uns dabei helfen kann, konstruktiver und wertschätzender, miteinander um politische Lösungen zu ringen. Vielleicht kann ich gnädiger (und im Ton angemessen) mit den politischen Wettbewerbern ins Gericht gehen, wenn mir bewusst ist, dass meine eigene Partei (oder sogar meine eigene Person) auch schon mal mit sehr guten Argumenten, die Position der Gegenseite vertreten hat. Wir sehen im Rückblick vor allem auch, dass niemandem in den letzten 30 Jahren eine bessere Lösung eingefallen ist.
Jetzt ist es Zeit nach vorne zu schauen: Wir haben hierfür einen Antrag gestellt, dass wir bis zum Sommer ein Wirtschaftsförderprogramm brauchen, das insbesondere eine Infrastruktur mit Pfandrücknameautomaten realisiert. Auch die Information und Unterstützung von Betrieben und Konsument zum Thema Verpackungssteuer und eine Evaluation nach zwei Jahren sind uns wichtig.
Obwohl es eine demokratische Selbstverständlichkeit ist, möchte ich noch sagen, dass wir uns mit dem Satzungsbeschluss nun eine anpackende Umsetzung wünschen und nicht bereit sind weitere Verzögerungen zu akzeptieren. Ich hoffe, dass ich mit der Historie hierfür das nötige Verständnis schaffen konnte.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!