Rede von Petra Himmelspach-Haas, Sprecherin für Bildung, zu TOP 3 der Gemeinderatssitzung am 09.12.2025: „Startchancen-Programm – Grundsatzbeschluss und Bereitstellung eines Teils der Fördermittel zur kommunalen Komplementärförderung der Säule 1 des Startchancen-Programms“
Sehr geehrter Oberbürgermeister Horn,
sehr geehrte Bürgermeisterin Buchheit,
liebe Alle hier im Saal,
ich möchte zu Beginn sagen, dass es gut und richtig ist, dass wir heute über die erste Säule des Startchancenprogramms und über den städtischen Anteil von 30 Prozent abstimmen.
Wir alle wissen: Eine Schule wird nicht zufällig zur Startchancenschule.
Es sind Schulen mit besonders herausfordernden sozialen Lagen, mit vielen Kindern in Armut, mit erhöhtem Sprachförderbedarf oder mit Familien, die durch verschiedenste Belastungen an Grenzen kommen – all das sind Gründe, warum bestimmte Schulen in dieses Programm aufgenommen werden.
Und genau darin liegt die eigentliche Botschaft des Startchancenschulen-Programms:
Sie macht sichtbar, wie ungerecht unser Bildungssystem in vielen Bereichen ist.
Sie zeigt die Wunden.
Sie zeigt die Schieflagen.
Wenn wir ehrlich sind, müssten dieses Programm statt Startchance „Trostpflaster“ heißen. Trostpflaster kleben die Wunden für zehn Jahre notdürftig ab – aber sie heilen die Ursachen nicht.
Die Gründe für diese Ungleichheit bleiben bestehen, wenn wir nicht mehr tun.
Im Rahmen des bundesweiten Startchancen-Programms, das seit 2024 läuft und Bildungschancen gezielt verbessern soll, wurden in Freiburg zunächst 13 Schulen ausgewählt. Mittlerweile ist diese Zahl auf 21 Startchancenschulen gestiegen. Das sind viel zu viele.

Besonders im Fokus stehen die Grundschulen. Diese Schulen liegen in Stadtteilen wie Landwasser, Weingarten, Bischofslinde, Haslach , Brühl oder auch im Rieselfeld. Und wir müssen offen darüber sprechen: Das sind Stadtteile, in denen Wohnungspolitik über Jahre hinweg versagt hat und in denen Segregation tiefe Wurzeln geschlagen hat.
Das Startchancenprogramm läuft nur zehn Jahre.
Zehn Jahre – das ist nicht viel Zeit. Diese Zeit sollten wir nutzen und alles dafür tun, damit sich die Bedingungen dauerhaft verändern.
Unser Ziel darf auch nicht sein, nur Startchancenschulen zu unterstützen. Unser Ziel sollte sein, an allen Standorten sogenannte 100-Prozent-Schulen entstehen zu lassen: Schulen, an denen jedes Kind lesen lernt und damit die besten Chancen hat, unabhängig von Herkunft, Geldbeutel oder familiären Voraussetzungen. Denn leider zeigen die Vergleichsarbeiten Vera in der 3. Klasse ein anderes Bild. Viel zu viele Kinder liegen im Bereich Lesen unter dem Mindeststandard, egal ob an Startchancenschule oder nicht.
Lesen zu können ist kein Luxus – das ist gelebte Teilhabe und damit ein Kinder- und somit ein Menschenrecht.
Was können wir tun?
Natürlich ist mir klar, dass wir nicht in den kommenden 10 Jahren unsere Wohnungspolitik ändern und dadurch mehr Heterogenität entstehen lassen können, aber wir sollten immer prinzipiell einen Blick darauf haben, vor allem auch bei allen neu entstehenden Wohnquartieren.
Erstens: Wir können unsere Schulbezirksregelungen gerechter gestalten, indem wir Bezirke anders zuschneiden. Mehr Heterogenität in den Schulen bedeutet mehr Bildungsgerechtigkeit – für alle Beteiligten.
Zweitens: Wir müssen den Ganztag ausbauen – und zwar verbindlich insbesondere für Startchancenschulen. Nur so kann sich das Programm vollständig entfalten. Nur so kommen Förderung, Beziehung und Unterstützung wirklich an.
Drittens: Wir können Schulen besser ausstatten – mit mehr Lernräumen für Differenzierung, für Kleingruppen, für Rückzug, für Sprachförderung und für echte Teilhabe. Orte, die den Kindern Raum geben, so unterschiedlich zu sein, wie sie sind.
Viertens: Wir können Ideenräume schaffen. Wir haben als Stadt die Stabsstelle Freiburger Bildungsmanagement als Teil des ASBs. Stärken wir diese und lassen wieder Programme aufkommen, die es mal gab mit der Möglichkeit Schulen bei ihrer Entwicklung zu unterstützen.
Gute Bildung braucht Austausch, Innovation, Mut und neue Wege. Wir sollten Schulen ermutigen, diese Wege zu gehen.
Fünftens: Wir müssen als Stadt ein deutliches Signal senden. Zum einen über den Städtetag, aber auch über die Landespolitik. Gemeinsam mit uns Grünen sollten alle Parteien verstehen und wollen, dass wir mehr brauchen als Sprachfit und G9. Für gute Förderung braucht es in den Schulen zusätzliche Stunden. Alle Sekundarschulen haben diese auch, nur die Grundschule ist die einzige Schulform ohne zusätzliche Stunden für Förderung. Eine Schule, in der die Kinder die wichtigsten Kompetenzen lernen. Wenn sie nicht in der Grundschule lesen lernen, wo und wann dann?
Das Startchancenprogramm ist ein Anfang.
Doch was wir daraus und zusätzlich machen – das entscheidet darüber, wie die Zukunft unserer Kinder aussieht.
Denken wir daran, wenn es um den nächsten Haushalt geht!
Vielen Dank.
