Interfraktionelles Schreiben zur Abschiebung der Familie Ametovic

Schreiben von B 90/Grüne und SPD an Ministerpräsident Winfried Kretschmann und Innenminister Reinhold Gall vom 05.02.2015

 

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Innenminister,

die Freiburger Öffentlichkeit wie auch wir, die Fraktionen der Grünen und der SPD im Freiburger Gemeinderat, sind tief betroffen über die Umstände der Abschiebung der Familie Ametovic.

Weder das Freiburger Regierungspräsidium noch die Stadt Freiburg waren hierüber informiert. Die Abschiebung von Sadbera Ametovic, ihrem Mann und ihren sechs kleinen Kindern erfolgte mit großem Polizeiaufgebot auf Veranlassung des zuständigen Regierungspräsidiums Karlsruhe.

Uns ist durchaus bewusst, dass mehr als neunzig Prozent der Roma-Flüchtlinge, die in Deutschland Zuflucht suchen, keine Aussicht auf politisches Asyl haben, weil sie in ihren Heimatländern nicht von staatlicher Verfolgung oder Bürgerkrieg bedroht sind. Fluchtgründe sind häufig systematische gesellschaftliche Diskriminierung und bittere Armut.

Trotzdem sind wir der Auffassung, dass nicht alle Fälle gleichbehandelt werden können. Das Land Baden-Württemberg hat bei der Entscheidung, ob Armutsflüchtlinge in sogenannte sichere Herkunftsländer zurückgeführt werden können oder nicht, auch humanitäre Gesichtspunkte zu berücksichtigen.

Uns ist bekannt, dass die Regierungsfraktionen derzeit über verbindliche Kriterien für humanitäre Abschiebehindernisse beraten. Bei Vorliegen dieser Kriterien hätte im Fall Ametovic anders entschieden werden müssen. Wir appellieren deshalb nochmals eindringlich an Sie, bis zur Einigung darüber Abschiebungen – vor allem in der Winterzeit – auszusetzen.

Aufgrund von Hinweisen aus dem Innenministerium sind auch wir davon ausgegangen, dass in den Monaten Januar und Februar keine Abschiebungen stattfinden. Ein ausführlicher Härtefallantrag war fast fertig und wurde wegen dieser Fehlinformationen zu spät eingereicht. Das Vorgehen der Landesregierung ist uns unerklärlich.

Auch ist uns nicht gleichgültig, in welche soziale Wirklichkeit Flüchtlinge zurückkehren. Die Nachrichten, die uns über die Situation der Familie Ametovic in Nis erreichen, sind schlimmer als befürchtet. Zusagen von serbischer Seite über Unterbringung und Versorgung von Mutter und Kindern wurden nicht eingehalten. Der Bericht der Mitarbeiterdelegation des Jugendhilfswerks und des SPD-Kreisvorsitzenden Julien Bender über ihre Reise nach Nis befindet sich im Anhang.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie haben in Ihrem Interview in der Badischen Zeitung am 02.02.2015 ausgeführt, dass Europa eine Verantwortung dafür hat, ob die Rechte von Minderheiten in Beitrittsländern wie Serbien gewahrt und elementare humanitäre Standards eingehalten werden. Wir bitten Sie daher, Initiativen in diese Richtung in die Institutionen und Gremien der Europäischen Union einzubringen.

Im gleichen Interview erklärten Sie, dass das wirtschaftsstarke Bundesland Baden-Württemberg einer der Motoren für die wirtschaftliche Prosperität des Euroraums ist.
Baden-Württemberg könnte daher mit gutem Beispiel vorangehen. Zusagen von serbischer Seite über die Versorgung und Unterbringung von dorthin abgeschobenen Flüchtlingen müssen überprüft werden. Zudem gibt es auch in Serbien Nicht-Regierungs-Organisationen, die Angehörige der Roma unterstützen und dafür dringend eine bessere Ausstattung brauchen. Hier sollte Baden-Württemberg tätig werden.

Sehr geehrter Herr Innenminister, wir richten die eindringliche Bitte an Sie, der aktuell bestehenden Kindeswohlgefährdung der Kinder der Familie Ametovic mit adäquaten Mitteln entgegenzuwirken. Da die von den serbischen Stellen zugesagte Betreuung der Familie nicht stattfindet, plädieren wir aus humanitären Gründen für eine sofortige Wiedereinreise von Frau Ametovic und ihren Kinder nach Freiburg. Wir bitten darum, die rechtlichen Möglichkeiten einer Rückkehr zu prüfen und Ermessensspielräume zu nutzen.
Wir wissen den Gemeinderat und den Oberbürgermeister der Stadt Freiburg hinter uns.

In der Gemeinderatssitzung am 3. Februar wurde die Initiative für ein Schreiben an die Landesregierung zum Fall Ametovic per Akklamation geschlossen unterstützt.

Mit freundlichen Grüßen

Maria Viethen
Fraktionsvorsitzende
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Renate Buchen
Fraktionsvorsitzende
SPD-Fraktion