„Es geht um Wertmaßstäbe für Ehrungen.“ 15. November 201622. September 2020 Eine der Strassen, die umbenannt werden soll, benannt nach Stadtrat Renner, der im 16. Jahrhundert für mehrere Hexenverbrennungen mitverantwortlich war. (Bild: Timothy Simms) Maria Viethen: Rede zu TOP 2 der Gemeinderatssitzung am 15.11.2016 zum Thema: „Wissenschaftliche Überprüfung der Freiburger Straßennamen“ Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Damen und Herren, mit der wissenschaftlichen Überprüfung der Freiburger Straßennamen besprechen wir heute Nachmittag das zweite sehr symbolträchtige Thema. Meine Kollegin Pia Federer hat im Kulturausschuss bei der Vorstellung der Untersuchungsergebnisse gesagt, es handelt sich um einen historischen Moment. Und das ist es auch. Die Stadt Freiburg hält inne und beginnt anhand der Straßennamen – übrigens zum wiederholten Mal – eine Diskussion zu führen über ihre Geschichte, über Ehre und Verdienst und auch über die Werte, denen sich die heutige Stadtgesellschaft verpflichtet sieht. Der Beschluss, den wir heute treffen sollen, ist ein Grundsatzbeschluss und ich kann schon ankündigen, dass meine Fraktion der Vorlage zustimmen wird. Wir wollen die Verwaltung mit der Umsetzung der Empfehlungen der Kommission beauftragen. Wir halten die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung für richtig und nachvollziehbar. Soweit diese Empfehlung die Umbenennung von Straßennamen umfasst, wird sich an die heutige Diskussion für jede einzelne Straße das vorgeschriebene Verfahren anschließen. Dieses Verfahren ist ziemlich umfangreich und schließt insbesondere die Anhörung der Bürgerinnen und Bürger, Informationsveranstaltungen und auch die Einrichtung eines Dialogverfahrens ein. Wir werden also noch sehr viel Gelegenheit haben, öffentlich über die Frage zu diskutieren, ob eine Straßenumbenennung vorgenommen werden soll oder nicht. Und am Ende wird für jede gesonderte Straße noch einmal ein Beschluss des Gemeinderates stehen. Die Kommission bestand aus fünf Historikerinnen und Historikern sowie einer Politologin und einer Soziologin. Sie hat sich vier Jahre mit dem Thema beschäftigt und sehr detaillierte historische Untersuchungen vorgelegt. Bei manchen Empfehlungen der Kategorie A also Umbenennung, oder der Kategorie B, also beibehalten aber mit Erläuterungsschild versehen, fragt man sich, weshalb die Straßennamen noch vor gar nicht so langer Zeit vergeben wurde. Hätte man die Bedenken, die die Kommission heute vorträgt, nicht auch früher haben können? Oder war in den siebziger, den achtziger, den neunziger Jahren tatsächlich die Haltung beispielsweise zu Verstrickungen in das nationalsozialistische Unrechtssystem eine anderer? Tatsächlich hat sich jedoch die Quellenlage massiv geändert, wie uns Herr Professor Martin als Historiker in den Ausschusssitzungen erläutert hat. Manche Straßennamen würden sicherlich nicht so vergeben worden sein, hätte man das gewusst, was Historiker heute wissen. Gerade auch die Empfehlungen der Kommission zur Umbenennung von zwölf Straßen, die in der Öffentlichkeit viel Kritik erfahren haben, halte ich für sehr moderat und abgewogen. Dies sieht man insbesondere an der Kategorie B, d. h. den Namen von Menschen, die die Kommission für erheblich belastet hält, für die sie jedoch lediglich empfiehlt, bei den Straßennamen ein Erläuterungsschild anzubringen. Wichtig ist mir, dass die Kommission bei ihrer Arbeit immer versucht hat, die Menschen in ihrer Zeit zu sehen, ihre Äußerungen und Taten im historischen Kontext zu bewerten. Es ging eben nicht darum, Mitläufer zu brandmarken oder Menschen, die gängige gesellschaftliche Vorurteile vertreten haben. Die Kommission hat in jedem der zwölf Einzelfälle, für die sie eine Umbenennung empfiehlt, herausgearbeitet, dass die Träger dieser Namen bei ihren Äußerungen und Taten signifikant über das gesellschaftliche Normalmaß hinausgegangen sind. Etwa weil sie beliebte und vielgelesene Publizisten waren und ihre gesellschaftliche Stellung und ihre Möglichkeiten zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung für die Verbreitung antisemitischer Hetze genutzt haben. Oder etwa indem sie als Vertreter ihres Fachs in herausragender Weise Wegbereiter rassistische Ideologien waren. Fraktionsvorsitzende Maria Viethen (Bild: Britt Schilling) Die Benennung einer Straße mit einem Personennamen ist vor allen Dingen eine Ehre, und kein historisches Zeugnis über den Benennungsakt. Wenn man die Freiburger Straßennamen sieht, muss es sich auch nicht zwingend um Menschen handeln, die in Freiburg gelebt und gewirkt haben, es ging den entscheidenden Gremien damals also nicht nur um die Geschichte der Stadt selbst. Beispielsweise hat Willy Brandt, soweit ich sie sehe, keinerlei Bezug zu Freiburg; trotzdem trägt zu Recht eine prominente Straße im Rieselfeld seinen Namen. Interessant ist in diesem Zusammenhang doch auch, dass Straßen in Freiburg grundsätzlich nur nach Personen benannt werden, die bereits verstorben sind. Andernfalls hätten wir vermutlich eine ununterbrochene Reihe von Straßenbenennungen nach Freiburger Oberbürgermeistern. Wir sind uns jedoch einig, dass die Nachwelt darüber befinden soll, ob ein Mensch der Ehre würdig ist, dass eine Straße nach ihm oder nach ihr benannt wird. Und da hilft es meiner Meinung nach auch nichts, der Frage auszuweichen, indem man Umbenennungen generell ablehnt und in jedem Fall für die Anbringung von Erläuterungsschildern plädiert. Ein solches Erläuterungsschild sieht nur der, der vor dem Straßenschild steht. Die Straßennamen sind jedoch Anschriften, sie finden sich im Stadtplan und gehen auf Briefen und Paketen zusammen mit dem Namen der Stadt in alle Welt, und zwar ohne jede Erläuterung. Wir müssen uns schon Gedanken darüber machen, ob wir wirklich wollen, dass in Freiburg weiter eine Straße nach Johannes Renner benannt bleibt, der für die Folterung und die qualvolle Hinrichtung einer Vielzahl von Frauen in Freiburg verantwortlich war, und dies zu einer Zeit, in der es sehr wohl bereits prominente öffentliche Stimmen gegen die Hexenprozesse gegeben hat. Es kann sein, dass kaum jemand weiß, wer Johannes Renner war. Das wusste ich bislang auch nicht. Aber jetzt weiß ich es, und will das nicht. Mir ist dabei sehr bewusst, dass viele Menschen in der Stadt der Umbenennung von Straßen, die die Kommission in zwölf Fällen empfiehlt, kritisch gegenüberstehen. Jedoch handelt es sich bei der Umbenennung von Straßen eben nicht um eine Säuberung, in neudeutsch: übertriebene Political Correctness, es geht auch nicht darum, einem verdienten Mitbürger etwas wegzunehmen. Und es geht auch nicht um eine Vernichtung der Geschichte der Stadt, sondern es geht im Gegenteil darum, diese Geschichte sichtbar zu machen. Meine Fraktion ist der Auffassung, dass auch bei jeder Straße, die umbenannt wird, ein Erläuterungsschild angebracht wird, auf dem der frühere Name der Straße erwähnt wird und der Grund, weshalb sie umbenannt worden ist. Es geht darum, dass die heutige Stadtgesellschaft über die Wertmaßstäbe diskutiert, die sie für Ehrungen anlegt. Und es geht auch darum, ein politisches Signal für die Zukunft zu geben. Ich gehe deshalb frohen Mutes in diese Diskussionen mit der Bürgerschaft, die sich nun anschließend werden. Genau diese Diskussionen sind das, was dieses Thema tatsächlich zu einem historischen Moment machen kann. Abschließend möchte ich mich nochmals bei Herrn Prof. Martin und der gesamten Kommission bedanken für die gründliche und abgewogene Arbeit. Es ehrt Sie insbesondere, dass sie immer wieder betont haben, dass es keine absoluten Kriterien für die Beurteilung eines Menschen und seine Verantwortung für unheilvolle geschichtliche Entwicklungen gibt, und dass sie sich explizit nicht moralisch über die Menschen gestellt haben, deren Leben und deren Wirken Sie beurteilen sollten. Ich danke Ihnen sehr.
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