„Entwicklung der vorgeschlagenen Gebiete sinnvoll“

Fraktionsvorsitzende Maria Viethen
Fraktionsvorsitzende Maria Viethen (Bild: Britt Schilling)

Rede von Maria Viethen zu TOP 3 und TOP 4 der Gemeinderatssitzung am 15.12.2015 zu den Themen:
TOP 3 „Perspektivplan: Information zur Beteiligung und Bewertung der drei Denkrichtungen für die zukünftige Freiraum- und Stadtentwicklung und Entscheidung für eine Denkrichtung als Leitmodell“
TOP 4 „Neue Wohnbauflächen: a) Einrichtung und Ziele der Projektgruppe neue Wohnbauflächen, b) Erste Flächenpotentiale für neue Wohnbauflächen“

Wenn man sich diese relativ unscheinbare Vorlage anschaut, über die wir heute zu entscheiden haben, deutet zunächst einmal nichts darauf hin, dass die Stadt Freiburg damit an einem Scheideweg steht. Aber genau das ist der Fall. Heute ist der Tag, an dem der Gemeinderat anfängt, all die Beschwörungen und Ankündigungen einzulösen, dass Freiburg dringend mehr Wohnraum braucht, dass die Wohnungsknappheit die größte soziale Herausforderung dieser Jahre ist, und dass man jetzt den gordischen Knoten durchschlagen muss – ich zitiere damit eine Formulierung aus einem Schreiben anderer Fraktionen an den Obermeister noch im Oktober dieses Jahres. Gefordert wurde, dass man ohne Tabus alle vorhandenen Flächen auf eine Bebaubarkeit prüfen soll und muss, um die Wohnungsnot und die galoppierenden Mieten zu dämpfen. Gut gebrüllt, liebe Löwinnen und Löwen, dann machen wir uns auf den Weg.

Schon vor zwei Jahren, nämlich im November 2013, haben wir gemeinsam das Handlungsprogramm Wohnen auf den Weg gebracht, das insbesondere auch den Bau eines neuen Stadtteils im Dietenbach- Gelände vorsieht. Aber uns allen war und ist klar, dass dieser neue Stadtteil nicht ausreichen wird, und dass vor 2020 nicht gebaut wird. Die Bedarfsanalyse von Empirica hat noch einmal deutlich gemacht, dass zwischen 2014 und 2030 rd. 18.600 neue Wohnungen gebaut werden müssen, wenn der Bedarf gedeckt werden soll, und dass dafür satte 285 Hektar Fläche benötigt werden.

Wir nehmen diese Herausforderung an:

  1. Freiburg ist eine »Schwarmstadt«, und das ist gut so. Wir können und wollen keine Käseglocke über die Stadt stülpen. Wir wollen, dass junge Leute nach Freiburg kommen und hier bleiben, dass sie Familien gründen und die hoch qualifizierten Arbeitsplätze besetzen, die Wirtschaft und Universität zur Verfügung stellen. Das sichert den Wohlstand dieser Stadt, die Steuerkraft und hilft damit letztendlich allen.
  2. Wir wollen eine Stadt, in der alle leben können. Schon jetzt ist es für Menschen mit schmalem Geldbeutel fast unmöglich, eine adäquate Wohnung zu finden. Den Bau geförderter Wohnungen unterstützen wir mit den baulandpolitischen Grundsätzen, durch direkte Zuschüsse oder über die Bautätigkeit der Freiburger Stadtbau. Wenn wir wollen, dass die Menschen, deren Einkommen knapp über der Grenze zu Transferleistungen liegt, Wohnungen auf dem freien Markt finden, dann geht das nur durch eine Vergrößerung des Angebotes, das den Preis dämpft.
  3. Durch den Zustrom von Flüchtlingen nach Deutschland wird sich auch die Lage auf dem Wohnungsmarkt weiter verschärfen. Derzeit sind neben den Menschen in der Erstaufnahme mit rund 900 Personen etwa 2600 Flüchtlinge in der Stadt. Die Stadt baut derzeit Unterkünfte mit bis zu 300, 400 Plätzen. Aber da können die Menschen nicht auf Dauer leben. Sie brauchen nicht nur Sprachunterricht, Ausbildungs– und Arbeitsplätze, sondern auch Wohnungen, um ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Ohne Wohnung ist eine Integration in die Stadtgesellschaft nicht möglich.

Mit dem Perspektivplan haben wir uns auf den Weg gemacht, mittelfristig Flächen für den Bau von rund 7.000 Wohnungen im Stadtgebiet zu identifizieren und zu bebauen. Der Perspektivplan ist eines der aufwändigsten Projekte der Bürgerbeteiligung, die in dieser Stadt überhaupt jemals stattgefunden haben. Es geht um die Entwicklung einer Vision, wohin sich die Stadt entwickeln soll, wenn einerseits kompakter und dichter gebaut werden soll. Andererseits ist es jedoch auch explizites Ziel des Perspektivplans, dass die Stadt nicht ihren unverwechselbaren Charakter verlieren soll, und dass lebenswerte Wohnquartiere mit ausreichenden Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten geschaffen werden. Die Projektleiter haben drei Denkrichtung vorgeschlagen, in welche die Entwicklung gehen kann. Meine Fraktion stützt die Denkrichtung »Starke Verbindungen«, ergänzt durch geeignete Elemente aus der Denkrichtung »Identitätsstiftende Parks«, die sich in den Workshops und Bürgerversammlungen als die angemessene Richtung herausgestellt hat, in die sich die Stadt entwickeln soll. Es geht jetzt in die Detailplanung, also den ganz normalen Prozess der Bauleitplanung, der ebenfalls noch einmal mit Maßnahmen der Bürgerbeteiligung versehen ist.

Angesichts der drängenden Probleme auf dem Wohnungsmarkt ist diese Vorgehensweise zwar richtig, aber zu langsam. Es muss schneller gehen als bisher geplant. Deshalb hat der Gemeinderat die Verwaltung gedrängt – ich erinnere an das eingangs erwähnte Schreiben – schon im Vorgriff auf den Perspektivplan Flächen zu präsentieren, auf denen eine Bebauung zügig umgesetzt werden kann.

Auch die Grünen sind bereit, diesen Weg konstruktiv mitzugehen. Und das, obwohl bereits die ersten, in dieser Vorlage vorgeschlagenen Flächen andeuten, welche ur-grünen Anliegen damit betroffen sind. Bauen heißt immer auch Versiegelung, heißt immer auch Vernichtung von Freiflächen, heißt das Zurückdrängen der Natur, sei es durch das Fällen von Bäumen oder die Überbauung von landwirtschaftlich genutzten Flächen oder Wiesen und Brachen. Es begrenzt weiter den Lebensraum von Tieren und bedroht möglicherweise auch hier heimische Pflanzenarten. Ich habe vorige Woche teilgenommen an dem Waldspaziergang im Gelände an der Paduaallee/Granadaallee, die in der Vorlage zur Bebauung vorgesehen ist. Ehrlich gesagt, habe ich mich im Stillen von den Bäumen verabschiedet. Es handelt sich dabei um 80- bis 100-jährige Eichen, die nicht ohne Grund im Landschaftsschutzgebiet stehen. Auch die Dreisamwiesen bei der Kapplerstraße, über die wir heute entscheiden, liegen den Grünen am Herzen. Wie also abwägen

Ich will vielleicht umgekehrt anfangen und aufzählen, was aus der Sicht meiner Fraktion nicht zur Disposition stehen kann:

  • Das sind natürlich die Naturschutzgebiete, obwohl die aus fachlicher und zeitlicher Sicht ohnehin nicht geeignet sind, unser Problem zu lösen.
  • Wir sind gegen eine Bebauung der Hänge in Freiburg. Es gehört zur Identität der Stadt, dass es eine Stadt ist, in der das Münster im Schwarzwald liegt, und dass man das von jeder Stelle der Stadt aus sehen kann.
  • Wir werden uns gegen großflächige Eingriffe in bewaldete Gebiete zur Wehr setzen, also auch in den Mooswald als bedeutenden Auenwald.

Ein Kriterium bei der Abwägung der noch kommenden Flächen wird für uns sicher auch die stadtbild-prägende Funktion von Flächen sein. Sie können sicher sein, dass wir den Münsterplatz nicht bebauen werden. Das ist nur teilweise scherzhaft gemeint, es geht tatsächlich darum, darüber nachzudenken, welche Teile der Stadt, welche Ansichten, welche funktionalen Zusammenhänge die Identität der Stadt und ihrer  BewohnerInnen ausmachen.

Bei der Abwägung werden mit Sicherheit auch rein pragmatische Argumente zählen, wie etwa ein Stadtbahnanschluss, verkehrliche und soziale Erschließung, ökologische Wertigkeit von Flora und Fauna usw.

Für die Grünen ist von überragender Bedeutung jedoch nicht nur die Frage, wo wir bauen, sondern vor allem auch, was und wie wir bauen:

  • Wir wollen sozial durchmischte Stadtteile, soweit man dies überhaupt politisch beeinflussen kann. Das ist im Riesenfeld einigermaßen gelungen, im Vauban weniger und in Weingarten gar nicht.
  • Wir wollen also nicht die Fehler früherer Generationen wiederholen und in der Eile und unter dem Druck der Anforderungen die Gettos von morgen bauen. Es kann deshalb aus unserer Sicht keine Billigbauten geben. Alles was gebaut wird, steht für die nächsten 50 Jahre oder länger, und das gilt für uns auch für die energetische Ausstattung. Zum einen verteuern die energetischen Standards, auf die wir stolz sind, dass Bauen weit weniger, als landläufig behauptet, zum anderen wird die ENEV 2016, die in zwei Wochen in Kraft tritt, die bundesweit vorgeschriebenen Standards ohnehin auf eine Höhe festlegen, die unseren baupolitischen Grundsätzen nahe kommt.
  • Wir wollen, dass der Baugrund gut genutzt wird, wir wollen, dass massiv und hoch gebaut wird, gleichzeitig aber architektonisch anspruchsvoll. Auch in den Veranstaltungen zum Perspektivplan war ein Ergebnis, dass dichte Bebauung, dass Urbanität nicht per se schlecht ist. Dass das Bauen jedoch intelligent und ästhetisch gestaltet werden muss.
  • Wir wollen gleichzeitig mit der massiven Bebauung eine neue Qualität für Grünflächen und Aufenthaltsräume im öffentlichen Raum. Dadurch sollen auch für die bereits bestehenden Stadtteile Perspektiven entwickelt werden.

Die Grünen stimmen der Vorlage zu. Wir beauftragen damit die Verwaltung, die fünf genannten Flächen für eine Wohnbebauung zu entwickeln. Trotz der geschilderten Bedenken im Hinblick auf die Eingriffe in Natur und Landschaft, trotz der verständlichen Abwehr mancher Nachbarn und der Menschen, die die bedrohten Kleingärten bewirtschaften, sind wir in der Abwägung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Entwicklung der vorgeschlagenen Gebiete sinnvoll ist. Wir gehen davon aus, dass die Flächen, die die Stadtverwaltung im Laufe des Prozesses weiter vorschlagen wird, keineswegs konfliktfreier zu bebauen sein werden. Das wird nicht besser werden.

Wir denken auch, dass die Auswahl der vorgeschlagenen Flächen ausgeglichen ist, was die Verteilung im Stadtgebiet anlangt. Das wird sich auf Dauer nicht durchhalten lassen. Es ist eine Tatsache, dass die Stadt immer nach Westen gewachsen ist und dies auch weiter tun wird. Ich wehre mich zum wiederholten Male dagegen, die Stadtteile gegeneinander auszuspielen. Die flächendeckende Bebauung des Dreisamtals kann niemand in der Stadt wollen, gleichgültig, wo er oder sie wohnt.

Was dann auf diesen Flächen, über die wir heute entscheiden, tatsächlich gebaut wird, wird sich in dem nun folgenden Prozess klären. Ich möchte alle Beteiligten aufrufen, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten. Und uns alle, liebe Kolleginnen und Kollegen, möchte ich aufrufen, entschieden und mit Mut voranzuschreiten. Politik muss konsistent sein, also in sich stimmig und widerspruchsfrei. Wir können nicht einerseits über den Mangel von Wohnraum klagen, und uns andererseits aus der Verantwortung stehlen, wenn es um konkrete Flächen geht. Wir haben gemeinsam die Wohnungsnot und die hohen Mieten als großes soziales Problem der Stadt erkannt. Die Menschen in Freiburg erwarten von uns zu Recht eine Lösung.