„Wir wollen keine ‚Zwangsbeglückung‘ in der Bildungspolitik, sondern die Bedürfnisse der Kinder ernst nehmen.“

Stadträtin Birgit Woelki (Mitte) bei der Protestaktion der Hindemith-Schule

Rede von Stadträtin Nadyne Saint-Cast zum TOP 7 der Gemeinderatssitzung vom 12.12.2017: Schulversuch „Schule ohne Noten“

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürgermeisterin Stuchlik,
liebe Gäste, liebe Kolleginnen und Kollegen,

heute Morgen konnten wir alle die Überschrift in der Badischen Zeitung lesen: „Wunschschule hat Vorrang- Verwaltungsgerichtshof stärkt Freiheit bei der Schulwahl zu Lasten der Behörden“.

Stadträtin Nadyne Saint-Cast
Stadträtin Nadyne Saint-Cast (Bild: Britt Schilling)

Im ersten Moment dachte ich: Super, hat Kultusministerin Eisenmann eingesehen, dass Schulpolitik nicht gegen, sondern nur mit den Betroffenen gelingen kann? Hat Frau Eisenmann erkannt, dass der Wunsch der Eltern, die Erfahrungen der Pädagoginnen und Pädagogen und noch wichtiger die Bedürfnisse der Kinder nicht einfach ignoriert werden können? Bei weiterem Lesen wird mir klar: dies ist leider mitnichten der Fall.

Der Kommunikations- und Politikstil ist beim abrupt beendeten Modellversuch Schule ohne Noten mehr als verwunderlich. Mehr noch: Er demotiviert Lehrkräfte und stößt Eltern und Kinder vor den Kopf. Obwohl alle 10 Modellschulen im Land in regelmäßigem Austausch mit dem Kultusministerium standen, haben sie es- wie auch wir als Schulträger- aus der Zeitung erfahren, dass das Konzept eingestampft werden soll. Es soll laut Schreiben des Kultusministeriums eingestampft werden, weil es keine verlässliche Aussage über die Effizienz dieses Konzeptes gibt. Genau das haben die 10 Schulen aber in den vergangenen Jahren immer wieder eingefordert. Nämlich: eine wissenschaftliche Begleitung und Evaluation ihres Modells. Dass das Kultusministerium nun das Konzept auf Basis von Mutmaßungen, Annahmen und sogar Ideologie beendet, hilft niemandem weiter. Die Leittragenden sind vor allem diejenigen, um die es uns gehen sollte, nämlich die Kinder. So berichten ehemalige Paul-Hindemith-Schüler_innen, dass sie im Vergleich ihrer Mitschüler_innen aus normalen Grundschulen auf den weiterführenden Schulen sehr gut abschneiden. Dass sie sehr von der individuellen Leistungserfassung und-rückmeldung profitierten und an der weiterführenden Schule die regelmäßigen Gespräche zwischen Schüler_innen, Lehrer_innen und Eltern vermissen. Si berichten, dass sie durch die individuelle Förderung eben bessere Leistungen erbringen konnten als mit einem engen Korsett aus Noten von 1-6.

Das von engagierten Lehrerinnen und Lehrern erarbeitete Konzept an der Paul Hindemith Schule ist also nicht Teil einer „Kuschelpädagogik“, sondern hat einen umfassenden Leistungsbegriff im Blick und fördert diesen. Dazu gehört eben nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen, sondern auch das Erlernen von Kompetenzen, wie z.B. Kommunikation und Präsentation. Somit sind an der Paul Hindemith Schule bereits ab der ersten Klasse regelmäßige Präsentationen der Schüler_innen vor der Klasse in den Unterricht integriert.

Dass ein pädagogisches Konzept ohne klassische Noten leistungsfähig ist und vielleicht sogar leistungsfähiger als ein enges System mit Ziffernnoten, kann ich aus persönlicher Erfahrung bestätigen: Ich war auf der Waldorfschule, die komplett ohne Noten auskommt. Und ich kann sagen, dass die allermeisten Kinder davon profitieren. Ein Ziffernnotensystem hingegen kann lähmen und demotivieren- sofern nicht eine eins oder zwei das Ergebnis ist. Und nicht umsonst haben Privatschulen vor allem in Freiburg einen enormen Zulauf. Weil Eltern solche Konzepte nachfragen und sich für ihre Kinder wünschen. Ich will, dass wir auch unseren öffentlichen Schulen ermöglichen, besser zu werden und auf den Wunsch und die Bedürfnisse von Kindern und Eltern eingehen zu können. Wir haben 30 Grundschulen in Freiburg. Wenn eine von diesen Schulen einen anderen Weg eingeht, kann dies die gesamte Schullandschaft doch nur bereichern.

Unser Appell an Frau Eisenmann lautet also: Lassen sie uns das Modell an der Paul-Hindemith-Schule weiterführen und endlich wissenschaftlich begleiten und evaluieren. Denn wir wollen politische Entscheidungen auf Basis von Fakten und nicht auf Basis von Vermutungen und Ideologien treffen. Wir wollen keine „Zwangsbeglückung“ in der Bildungspolitik, sondern die Bedürfnisse der Kinder ernst nehmen.

Vielen Dank!