Fallmanagement für Flüchtlinge: „Ein richtig gutes Projekt“

Wohnheime in Holzmodulbauweise an der Merzhauser Straße. (Foto: Timothy Simms)

Rede von Fraktionsvorsitzender Maria Viethen zu TOP 7 der Gemeinderatsitzung vom 14.11.2017: „Pakt für Integration in den Kommunen (PIK)“

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

Der Vorschlag der Verwaltung, über den wir heute abstimmen werden, wird von meiner Fraktion einhellig begrüßt. Die Stadt will die – leider zeitlich begrenzten – Zuschüsse der Landesregierung zur Installation sogenannter Integrationsmanager nutzen, um die Frage der Integration der geflüchteten Menschen in der Stadt endlich konzeptionell anzugehen. Aus anderen Kommunen heißt es, dass die dort tätigen MitarbeiterInnen der Sozialberatung schlichtweg für zwei Jahre umgetauft werden, damit der Geldsegen die klamme Kommune entlastet. Freiburg hingegen will zehn Stellen aus der bisherigen Sozialbetreuung herauslösen und dazu neun neue Stellen begründen. Daraus soll ein „aufsuchendes Fallmanagement“ unter rein städtischer Trägerschaft gebildet werden, bestehend aus 18 Vollzeitstellen für Integrationsmanager und einer Sachgebietsleitung.

Fraktionsvorsitzende Maria Viethen
Fraktionsvorsitzende Maria Viethen (Bild: Britt Schilling)

In Freiburg leben derzeit rund 3.200 Geflüchtete, die öffentlich – also größtenteils in Sammelunterkünften, ein geringer Teil in angemieteten Wohnungen – untergebracht sind. Zusätzlich gibt es noch etwa 500 Menschen, die privaten Wohnraum gefunden haben. In den Jahren 2018 und 2019, also in den 24 Monaten, in denen die Zuschüsse des Landes fließen, soll neben der weiterbestehenden Sozialbetreuung mit jedem und mit jeder Geflüchteten ein verbindlicher Integrationsplan erarbeitet werden. Das Amt gewinnt auf diese Art auch Daten darüber, welcher Integrationsbedarf überhaupt besteht und kann dann eine gezielte Steuerung entwickeln. Wir erfahren also zum ersten Mal genau, wer hier bei uns gestrandet ist und was er oder sie braucht, um in der deutschen Gesellschaft Fuß zu fassen.

Derzeit wird die Sozialbetreuung in den Flüchtlingswohnheimen unter den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege für die Zeit am 2018 neu ausgeschrieben, deshalb laufen bei den Trägern auch die Stellen sämtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus, die in der Sozialbetreuung arbeiten. Die Idee bei der Umwidmung von zehn Stellen aus der Sozialbetreuung in städtische Stellen, die dann mit den weiteren neun neuen Stellen das aufsuchende Fallmanagement betreiben sollen, ist, dass sich solche MitarbeiterInnen als Fallmanager für die umgewidmeten Stellen bewerben, die bereits bisher in der Sozialbetreuung arbeiten und der Erfahrung in der Sozialarbeit mit Geflüchteten mitbringen. Bei der Besetzung der Fallmanager-Stellen geht es auch um Qualität.

Unser Problem bestand darin, dass die Herauslösung von zehn MitarbeiterInnen aus der Sozialabertreuung, die zukünftig als Fallmanager arbeiten, rein rechnerisch dazu führt, dass sich der Betreuungsschlüssel in den Wohnheimen von 1:100 auf 1:135 erhöht. Ich darf daran erinnern, wie hart wir gerungen haben, um den Betreuungsschlüssel vor einigen Jahren – meiner Erinnerung nach war das erst 2014 – auf 1:100 zu senken. Wir haben deshalb vor der letzten Gemeinderatssitzung zusammen mit der SPD zunächst einen Antrag gestellt, die Reduzierung des Betreuungsschlüssels nur auf 1:120 zu begrenzen, um weiterhin eine effektive Betreuung in den Flüchtlingseinrichtungen sicherzustellen. An diesem Antrag hält meine Fraktion nicht weiter fest.

Der Oberbürgermeister hat den Tagesordnungspunkt bei der letzten Gemeinderatssitzung abgesetzt. Mittlerweile hat die Verwaltung eine Ergänzungsvorlage vorgelegt, und noch einmal genau dargelegt, dass die aufsuchenden Fallmanager in den Flüchtlingseinrichtungen die gleiche Personengruppe betreuen wie zuvor nur die Sozialbetreuung, und dass sich die Aufgabenbereiche in großen Teilen überschneiden. Wenn die Fallmanager einen Tag pro Woche, also 20% ihrer Arbeitszeit, zentral im Amt für Migration und Integration verbringen und 80% aufsuchend vor Ort tätig sind, kann wegen der gleichzeitigen Aufstockung der Stellen auch die in den Heimen bislang bestehende Präsenz von SozialarbeiterInnen gewährleistet werden. Tatsächlich wird die Präsenz in den Wohnheimen ja schon jetzt nicht exakt nach dem Schlüssel 1:100 nach der bloßen Zahl der Flüchtlinge geregelt, sondern am Bedarf der konkreten Einrichtung ausgerichtet. Wichtig ist, dass an Orten mit erhöhtem Bedarf mindestens eine doppelte Besetzung vorgehalten werden kann, um akuten Einsatzfälle gut abfedern zu können und die SozialarbeiterInnen vor Ort nicht allein zu lassen.

Der weitaus überwiegende Teil unserer Fraktion hält die Argumentation der Verwaltung für stichhaltig und will das neue Konzept nun rasch in die Umsetzung bringen. Letztendlich ist es ja auch eine Frage des Finanzierungsbedarfs. Aus unserer Sicht besteht einfach kein plausibler Grund, zusätzlich € 440.000 auszugeben, die für andere Integrationsmaßnahmen investiert werden könnten. Ich denke, wir können es wagen, dieses Konzept nun in die Umsetzung zu bringen, ohne dass die Betreuung in denWohnheimen tatsächlich leidet. Sollte sich herausstellen, dass trotz Einrichtung des aufsuchenden Fallmanagements tatsächlich mehr Betreuungsbedarf in den Flüchtlingswohnheimen besteht, wovon wir zunächst einmal nicht ausgehen, müsste dann eben nachgesteuert werden.

Ein Mitglied unserer Fraktion, nämlich Ibrahim Sarialtin, der tatsächlich eine Zeit lang selbst in Flüchtlingswohnheimen gearbeitet hat und überhaupt in dem Thema zuhause ist, unterstützt die Einrichtung eines Fallmanagements zwar ebenfalls als innovative und zielgerichtete Integrationsmaßnahme, er zweifelt jedoch an den Berechnungen der Verwaltung zur voraussichtlichen Präsenz von SozialarbeiterInnen erInnen in den Wohnheimen. Er befürchtet zudem, dass eine Reduzierung des Betreuungsschlüssels demotivierend auf die MitarbeiterInnen der Sozialbetreuung wirken könnte, die ihre bisherige Arbeit nicht respektiert fühlen. Ibrahim Sarialtin hätte deshalb – anders als der weitaus überwiegende Teil der Fraktion – Anträge zur Beibehaltung des bisherigen Betreuungsschlüssels unterstützt. Er ist jedoch wegen einer Knie-Operation nicht in der Lage, an der heutigen Sitzung teilzunehmen.

Der nunmehr geänderte Antrag der SPD, den Betreuungsschlüssel nur für zwölf Monate auf 1:120 und erst danach auf 1:135 zu senken, besitzt meine Sympathie. Er ist erkennbar darauf gerichtet, den Übergang von einem auf ein anderes System der Betreuung in den Wohnheimen abzufedern. Bei näherer Betrachtung halten wir den Antrag jedoch nicht für praktikabel. Entweder wechseln zehn MitarbeiterInnen aus der bisherigen Sozialbetreuung zum Fallmanagement über und müssen dann durch neu angestellte SozialarbeiterInnen ersetzt werden, die erst in die Arbeit in den Heimen eingearbeitet werden müssen, aber nach einem Jahr wieder ihre Arbeitsstelle verlieren. Oder die bisherigen MitarbeiterInnen arbeiten dort noch ein Jahr weiter, nach einem Jahr sind aber die Stellen für das der Fallmanagement komplett besetzt und die in den Heimen verbliebenen MitarbeiterInnen und ihre Erfahrung können nicht mehr für das Integrationsmanagement genutzt werden.

Und machen wir uns nichts vor: Wenn das Landesprogramm PIK (Pakt für Integration in den Kommunen) nach 24 Monaten endet, werden wir wohl kaum die neu geschaffenen 9 Stellen streichen, es handelt sich deshalb voraussichtlich auch um Stellen, die auf Dauer von der Stadt finanziert werden müssen und deshalb auch einigermaßen sichere Arbeitsstellen für die MitarbeiterInnen sind, die sich dafür bewerben.

Den weiteren Antrag der SPD, dem Oberbürgermeister, der insoweit die Organisationshoheit besitzt, zu empfehlen, die Büros der Integrationsmanager nach Möglichkeit in den Wohnheimen anzusiedeln, werden wir gerne mittragen.

Abschließend möchte ich nochmals zusammenfassen, dass es sich bei dem Projekt des aufsuchenden Fallmanagements um ein richtig gutes Projekt handelt, mit dem wir nicht nur jede und jede Geflüchtete aufsuchen können, sondern wir erhalten damit erstmals auch ein Steuerungstool an die Hand, mit dem wir gezielt den Bedarf an Integrationsmaßnahmen ermitteln und dann auch befriedigen können. Freiburg geht damit wieder einmal voran, was eine zukunftsweisende Umsetzung der Integration Geflüchteter betrifft, es gibt wohl schon Anfragen anderer Kommunen, die sich für das Konzept und die vorgesehene Schulung der Fallmanager interessieren.

Wir haben zusätzlich noch beantragt, dass das Gewaltschutzkonzept, das die Verwaltung derzeit erarbeitet, nun ebenfalls auf den Weg gebracht und im Laufe des Frühjahres in den Ausschüssen vorgestellt werden soll. Die Verwaltung hat diesen Antrag übernommen und angekündigt, dass das Thema voraussichtlich im März in die Gremien kommt.

Wir danken herzlich Frau Dr. Niethammer und Herrn Steiner, die das Konzept des aufsuchenden Fallmanagements entwickelt haben, wie auch Herrn Lang vom Jobcenter sowie den jeweiligen Teams. Und wir wünschen uns, dass das neue Konzept greift und in den nächsten 24 Monaten alle geflüchteten Menschen in und außerhalb von Wohnheimen mit passgenauen Maßnahmen zur Integration versorgt werden können.