„Freiburg muss vielfältig bleiben, deshalb brauchen wir wieder einen Wohnungsmarkt für jeden Geldbeutel.“

Wohnungspolitische Grundsatzdebatte im Gemeinderat: Unser Fraktionsvize Gerhard Frey macht in seiner Rede deutlich, wie groß der Druck auf dem Wohnungsmarkt ist und dass viele Maßnahmen nötig sind: Vom neuen Stadtteil Dietenbach über Innenentwicklung bis hin zu Zweckentfremdungs- und Erhaltungssatzungen.

Rede von Stadtrat Gerhard Frey zu TOP 3 der Gemeinderatssitzung vom 28.11.2018: Wohnungssituation in Freiburg

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Haag,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Damen und Herren,

Stadtrat Gerhard Frey
Stadtrat Gerhard Frey (Bild: Britt Schilling)

ein Blick in den Anzeigenteil der Zeitungen mit Mietwohnangeboten und Mietwohngesuchen, wie auch ein Blick in den Immobilienteil macht die prekäre Lage auf dem Wohnungsmarkt in Freiburg deutlich.

In den Onlineportalen sind Mietangebote oft nur für eine oder zwei Stunden einsehbar und werden, nachdem sich dutzende Wohnungssuchende beworben haben, wieder offline geschaltet.

Real gibt es kaum noch Mietwohnangebote und so hoffen alle Wohnungssuchenden, dass sie von einem Mieterwechsel in ihrem persönlichen Umfeld erfahren, um als mögliche Nachmieter deren Wohnung übernehmen zu können. Oder sie lassen sich auf immer länger werdende Wartelisten bei den Genossenschaften, bei der FSB, bei kirchlichen oder anderen großen Wohnungsbaugesellschaften setzen. Wartezeit bis zum ersten Wohnungsangebot in der Regel mehrere Jahre.

In Freiburg, wie auch in vielen anderen boomenden Städten, wird nicht mehr umgezogen – man nennt dieses Phänomen „Lock-In-Effekt“. Eine normale Fluktuationsrate im Wohnungssegment liegt bei rund 10 %. Bei der FSB liegt sie aktuell unter 5%, trotz der sanierungsbedingten Umzüge. Auf dem freien Wohnungsmarkt liegt die Fluktuationsrate noch niedriger bei geschätzt rund 3 %.  Ein Umzug bedeutet in Freiburg inzwischen deutlich höhere Quadratmetermieten. Auch eine kleinere Wohnung ist nach einem Umzug oft teurer, wie die alte Größere. Der Lock-In-Effekt hat somit weitere Folge: Die Differenz, der Spread, zwischen Bestandsmieten und Neuvermietungsmieten wächst. 

In diesem Kontext muss man sich nochmals klar machen, dass der größte Teil des Bestands an Mietwohnungen in Freiburg sich – ich nehme jetzt hierfür einen Begriff aus einem anderen Kontext – im Streubesitz befindet. In Freiburg gibt es rund 110.000 Wohnungen. Davon sind ca. 35.000 selbstgenutztes Wohneigentum und etwa75.000 sind Mietwohnungen. Stadtbau und Wohnungsbaugenossenschaften halten davon rund 17.000 Wohnungen. Ich schätzte institutionelle Investoren werden weitere rund 10.000 bis 15.000 Mietwohnungen verwalten, sodass man von mindestens 40.000 Mietwohnungen im Streubesitz von Kleineigentümern ausgehend kann. 

Ein größerer Wohnimmobilien- und Mietwohnungsverwalter aus Freiburg hat vor kurzem berichtet, dass inzwischen viele Kleineigentümer Neuvermietungen nutzen, um Mieten deutlich über dem Mietspiegelniveau zu realisieren. Angebotsmieten auf dem freien Mietwohnungsmarkt in Freiburg bewegen sich, ungestört von der Mietpreisbremse, inzwischen nur noch oberhalb von 11 € pro qm. 

Fazit: Ein normaler Wohnungsmarkt in Freiburg funktioniert nicht mehr, es fehlt schlicht das Wohnungsangebot. Der Wohnungsmangel wird immer mehr zur Wohnungsnot. Auch die Fraktion FL/FF sollte dieses existentielle Problem vieler Freiburgerinnen und Freiburger nicht kleinreden.

Manche Gesprächsrunde zur Wohnungsnot  erinnert stark an die Migrationsdebatte. In diesem Kontext ist dann nicht „das Boot“, sondern Freiburg übervoll. Neuer Wohnungsbau wird als Zumutung für die hier Wohnenden wahrgenommen. Und es wird unterstellt, dass neuer Wohnungsbau ausschließlich für „Auswärtige“, man könnte auch sagen „Ausländer“, erfolgt. 

Eine gefährliche, ausgrenzende, rechtspopulistische Argumentation.  Ausgeblendet wird, dass viele der in Freiburg Wohnenden selbst irgendwann als junge Menschen in die Stadt zugewandert sind.

Faktisch nimmt die Freiburger Bevölkerung aber aktuell kaum stärker zu, wie – mit Schwankungen – auch in den letzten Jahrzehnten. Das Bevölkerungswachstum liegt bei rund 0,9 %, das heißt bei rund 1.700 Personen pro Jahr. Dies ist aktuell nicht nur dem Saldo zwischen Zu- und Wegzügen geschuldet, sondern auch der erfreulich hohen Geburtenrate in Freiburg. 

Der Wohnungsmangel ist also nicht das Ergebnis einer besonders hohen Zuwanderung, sondern schlicht eines zu geringen Wohnungsbaus in den letzten 10 Jahren. 

Städte verändern sich, Städte haben sich immer verändert. Ökonomisch ist Freiburg mit seiner Universität, seinen Forschungseinrichtungen, seinen gut ausgebildeten Arbeitskräften ein attraktiver Standort für innovative Unternehmen. Das Gesundheits-Cluster wächst. Arbeitskräfte in allen Arbeitsfeldern sind Mangelware. Es braucht deshalb Wohnungen für alle Gesellschaftsschichten: Für die Erzieherin, für den Pfleger, für den Handwerker, die Angestellte im Handel, die Lehrerin, den Wissenschaftler, die IT-Fachkraft, die Verwaltungsangestellte.

Betrachtet man den aktuellen Wohnungsmarkt in Freiburg, dann wird schnell deutlich – und deshalb spreche ich von Wohnungsnot – dass nicht alle auf dem Wohnungsmarkt die gleichen Chancen haben. Wenn man sich vergegenwärtigt, dass auf jedes Wohnungsangebot dutzende Bewerbungen eingehen, dann haben akademische Doppelverdiener, möglichst ohne Kind, die besten Chancen, während am anderen Ende der Skala Familien mit Kinder, Geflüchtete, Menschen mit außereuropäischer Migrationsgeschichte und Alleinerziehende auf dem Wohnungsmarkt immer chancenloser werden.

Die Wohnungsnot in Freiburg wird ganz konkret, wenn man sich Einzelschicksale vergegenwärtigt. In vielen Wortbeiträgen auf der Grünen Sondermitgliederversammlung zum neuen Stadtteil Dietenbach wurde dies greifbar. Wohnungsnot ist ein Problem, welches sich immer stärker in die Mitte der Gesellschaft frisst. Auch das Ausweichen auf die Wohnungsmärkte in den Gemeinden und Städte im Umfeld von Freiburg bietet immer weniger ein Ventil. Die Mieten in Bad Krozingen, Waldkirch und Emmendingen nähern sich immer mehr dem Freiburger Niveau an. Auch dort gibt es vergleichbare, ablehnende Diskussionen zu Neubaugebieten, wie in Freiburg und auch dort werden mit weiter steigenden Mieten untere und mittlere Einkommensgruppen perspektivisch aus dem Wohnungsmarkt gedrängt. 

Die Grüne Fraktion ist überzeugt, dass nur mit einem neuen Stadtteil Dietenbach eine Entspannung für die Wohnungssuchenden in Freiburg erreicht werden kann. Die deutlich geschrumpften, teils schwierigen Flächen aus dem Perspektivplan werden zusätzlich gebraucht.

Es ist richtig, dass jeder Wohnungsneubau, ob im Innen- oder Außenbereich eine weitere Flächenversiegelung bedeutet. Das schmerzt zu Recht die Umweltgruppen – und auch die grüne Seele. Wohnungsneubau muss deshalb für meine Fraktion, egal wo er stattfindet, ökologisch nachhaltig realisiert werden. Urbanes, kompaktes Bauen ist deutlich ökologischer, wie zusätzliche Bauflächen im Umland auszuweisen. Der Flächenverbrauch pro Kopf im Umland entspricht dem 1,9 bis 4,3-fachen gegenüber dem Flächenverbrauch pro Kopf in der Stadt. Das 1,9 bis 4,3-fache an Fläche nicht nur wegen der niedrigeren Bauweise der Gebäude, sondern auch auf Grund der dadurch produzierten größeren Verkehrsströme. Bereits 2013 gab es 59.000 Einpendler nach Freiburg mit einer jährlichen Wachstumsrate von 15 %. Die Einpendler brauchen S-Bahnen, Busse, Radwege und Straßen. 

Urban nah oder in der Stadt zu bauen ist deshalb aus ökologischen Gründen der weiteren Zersiedelung des Freiburger Umlands vorzuziehen.

Wohnungsneubau auf städtischen Flächen und weitgehend auch auf Dietenbach muss sich an den Wohnungsnachfragegruppen aus den unteren bis mittleren Einkommensgruppen orientieren. Mit dem 50%-Beschluss hat der GR ein entsprechendes Signal gesetzt. Die Vermarktungskriterien von Gutleutmatten mit mehr als 60 % geförderten oder gebundenen Mietwohnungen bilden eine erste Blaupause für zukünftige Grundstücks-vergaben. Auch Wohneigentum für die Mittelschicht muss unserer Meinung nach wieder möglich werden. Das Hochhaus Binzengrün 34 zeigt ganz aktuell, dass es auch große Nachfrage nach gefördertem Wohneigentum gibt. 

Den Spekulationsfaktor Grund und Boden bei städtischen Flächen hat der GR in einer seiner letzten Sitzungen aus dem Markt genommen. Meine Fraktion wird demnächst einen Umsetzungs- und Finanzierungsvorschlag für die zukünftigen städtischen Erbbauflächen vorlegen.

Wir sind überzeugt, dass ökologisch hochwertiges und bezahlbares Bauen kein Widerspruch ist, sondern zusammen gedacht werden muss. Es wäre ein Schildbürgerstreich, wenn wir mit mehr Wohnungsbau das Wohnungsproblem auf der einen Seite lindern und auf der anderen Seite, mit niedrigen ökologischen Baustandards, uns ein Umweltproblem einhandeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Vorlage geht es natürlich auch um den Wohnungsbestand. Es ist für meine Fraktion unstrittig, dass man auslaufende Belegungsrechte verlängert. Bei der FSB entspricht dies der vor rund 2 Jahren gefassten Beschlusslage. Selbstverständlich, muss man mit Aufstellungsbeschlüssen für bauliche Erhaltungssatzungen in Quartieren oder Aufstellungsbeschlüssen für Bebauungspläne gegen Auswüchse an Nachverdichtungsabsichten von Investoren vorgehen. Wir sind uns in der Regel einig, dass die hohe Bauqualität in den Quartieren erhalten bleiben muss und auch ausreichend grüne Erholungs- und Freizeitzonen den Bewohnerinnen und Bewohnern zur Verfügung stehen sollen. Nachverdichtung hat seine Grenzen.

Trotzdem schlummern im Innenbereich noch einige Wohnungsbaupotentiale, wie von den Dietenbachgegnern aufgeführt: Die Überbauung von Parkplätzen, Supermärkten und Garagengrundstücken. Sicherlich ist auch das eine oder andere Dach noch ausbaufähig oder die eine oder andere Aufstockung möglich. 

Die Wohnungsnot aber werden diese Potentiale nicht decken können – sonst wäre es schon längst passiert. 

Die Wohnungsnachfrageprognose 2015 geht von einem Bedarf bis 2030 von 14.600 zusätzlichen Wohnungen aus. Berlin braucht im gleichen Zeitfenster rund 200.000 neue Wohnungen. Bringt man die beiden Zahlen in Relation zur jeweiligen Einwohnerzahl, sind 14.600 Wohnungen für Freiburg defensiv gerechnet. 

Liebe Kolleginnen und Kollegen ohne einen neuen Stadtteil Dietenbach mit rund 6.000 Wohnungen wird die Nachfrage nach bezahlbaren Wohnungen nie und nimmer erreichbar sein. 

Ein letzter Aspekt:

Wohnungsneubau entschärft den Druck auf den Wohnungsbestand. Solange der Druck hoch ist, ist es richtig Veränderungen in den bestehenden Quartieren einer kritischen Analyse zu unterziehen. Gentrifizierungsprozessen muss soweit möglich entgegengewirkt werden. In diesem Sinne unterstützt meine Fraktion auch das leider ein bisschen zahnlose Instrument der sozialen Erhaltungssatzung.

Fazit:

Freiburg braucht einen innovativen und ökologischen neuen Stadtteil mit bezahlbaren Wohnungen. Als Ergänzung braucht Freiburg auch seine Innenentwicklungsflächen. Innenentwicklung muss zum Ziel haben, die hohe Lebensqualität in den Quartieren noch zu verbessern.

Meine Fraktion hofft, dass auch eine große Mehrheit der Freiburgerinnen und Freiburger die Stadt weiterentwickeln will und die Wohnungsnöte ernst nimmt. Freiburg muss vielfältig bleiben, deshalb brauchen wir wieder einen Wohnungsmarkt für jeden Geldbeutel.

Vielen Dank.