„Froh, dass unsere allgemeine Zielstellung auch bundesweit die Teilhabe ist und nicht wie früher Fürsorge und Versorgung“ 6. Februar 202022. Oktober 2020 Stadtrat Jan Otto (Bild: Britt Schilling) Der Gemeinderat hat am 4.2. die Teilhabeplanung für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen verabschiedet. In seiner Rede würdigt Stadtrat Jan Otto die Planungen der Stadt. „Stigmatisierungen von psychischen Erkrankungen wie Depressionen müssen wir dringend angehen, damit Betroffene keine Hürden haben sich Unterstützung zu suchen!“, so Jan Otto. Rede von Stadtrat Jan Otto zu TOP 9 der Gemeinderatssitzung vom 4.2.2020: „Teilhabeplanung für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen“ Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn, sehr geehrter Herr erster Bürgermeister von Kirchbach, sehr geehrte Damen und Herren, Beginnen möchte ich mit einem Dank an alle, an der Teilhabeplanung beteiligten Personen und Institutionen und stellvertretend für alle besonders auch Herrn Gourdial sowie seinen federführenden Mitarbeiter*innen Frau Kubbutat und Herrn Klein. Die Drucksache und vor allem auch die Teilhabeplanung in der Anlage ist in vielerlei Hinsicht beachtlich, nicht nur aufgrund ihres Umfangs, sondern vor allem aufgrund des Inhalts. Sowohl die Daten, die sehr übersichtlich dargestellt werden als auch die Gliederung in IST-Situation – Bewertung und Empfehlung erleichtern das Verständnis enorm und zeigen zeitgleich, dass es an vielen Stellen schon gut bis sehr gut läuft aber natürlich auch noch einiges zu tun ist. Die erfassten Daten und vor allem auch deren regelmäßige Fortschreibung und Weiterentwicklung sowie die Auswertung und die damit verbundenen Berichte fließen als Grundlage unserer Sozialplanung im Bereich der Teilhabe für Menschen mit psychischer Beeinträchtigung sicher in unsere zukünftige Arbeit vermehrt ein. Und wenn ich mir an dieser Stelle etwas wünschen dürfte, dann wäre es auch in allen anderen Gebieten eine ähnlich umfassende Datengrundlage zu haben. Doch natürlich möchte ich zu dem Thema auch inhaltlich Stellung nehmen: einzelne Befunde hervorheben und Bedarfe adressieren. Zunächst bin ich grundsätzlich sehr froh, dass unsere allgemeine Zielstellung auch bundesweit die Teilhabe ist und nicht wie früher Fürsorge und Versorgung. Um diesen Grundsatz eine weitere Konsequenz zu geben, sollten wir aber auch nochmal überlegen, wie wir die Übergänge aus dem Werkstattsystem in den regulären Arbeitsmarkt barrierefreier gestalten. Grundsätzlich ist die Bedarfsorientierung, um den Menschen, die durch ihre Erkrankung Einschränkungen zu befürchten haben, diese möglichst auszugleichen. Im Optimalfall könnte durch Hilfe und Unterstützung aber vielleicht auch noch ein Schritt mehr gelingen. Eines der größten Defizite, die die Planung aber auch klar adressiert ist die Möglichkeit des stationären Wohnens für Freiburger*innen in Freiburg, ich bin zuversichtlich, dass wir dieses Defizit perspektivisch abbauen können und möchte auch an dieser Stelle nochmal danken, dass das Defizit klar benannt wurde. Eine weitere Schlagseite ist die Versorgung von jungen Menschen, zu der die Fraktion „Eine Stadt für Alle“ dankenswerterweise einen Ergänzungsantrag gestellt hat, den wir gerne unterstützen. Gleichzeitig sollte man auch die Gruppe der alten, älteren und hochbetagten noch mal gesondert in den Blick nehmen. Gerade mit dem Versterben des Bekanntenkreises oder in Folge altersbedingter Krankheiten kann es durchaus dazu kommen, dass psychologische Erkrankungen übersehen werden oder als Symptom oder Folge einer der beiden gerade genannten Punkte missgedeutet werden. Es gibt außerdem einen Befund, der mich etwas im Zwiespalt lässt und zwar, dass wir bei der Inanspruchnahme von psychologischen Hilfen weit über dem Landesschnitt liegen. Dies bedeutet auf der einen Seite, dass unser System bei der Erkennung wahrscheinlich sensibler ist, als in vielen anderen Städten und Kreisen andererseits der Leidensdruck in unserer Bevölkerung auch entsprechend groß ist. Und wie es auch unser Oberbürgermeister im Vorwort benannt hat, sowohl die Information über als auch die Anerkennung von psychischen Erkrankungen deutlich zugenommen hat. Zum Abschluss möchte ich aber auch noch 2 allgemeinere Themen ansprechen: Die Verknüpfung von Armut einerseits und Einsamkeit andererseits mit psychiatrischen Erkrankungen. Unter den in der Teilhabeplanung erfassten Patient*innen sind sowohl ledige und allein wohnende Menschen als auch Menschen im Bezug von Sozialleistungen überproportional vertreten. Ich glaube nicht, dass sich im Einzelfall trennen lässt, ob das eine das andere bedingt, allerdings greift beides wie Zahnräder ineinander und verhindert die langfristige Genesung der Betroffenen. Es gibt aber auch noch einen weiteren Faktor, der den Zugang zu Hilfe und die Möglichkeit der Genesung massiv einschränkt: Und das ist die Stigmatisierung psychisch Kranker, die leider noch immer ein weitverbreitetes Phänomen in unserer Gesellschaft ist, das wir dringend angehen müssen. Fälle wie der tragische Suizid von Robert Enke haben dieses Thema auch in die breite Debatte gebracht und Hashtags wie #notjustsad sind voll von Geschichten, die tragische Schicksale zeigen, Defizite klar benennen aber auch hin und wieder Hoffnung auf Besserung zeigen. Bei diesem Thema zeigt sich außerdem ein Gendergap, Männer suchen sich nämlich deutlich seltener und später Hilfe als Frauen, auch hier sollten wir uns eine Strategie überlegen, gerade angesichts der höheren Suizidrate unter Männern ist der Handlungsbedarf dringend. Ich bin deshalb sehr froh, dass Menschen wie Ben Meißner, der Torwart unserer Eishockey Mannschaft den Mut gefunden hat, sich Hilfe zu suchen und nun auch öffentlich als Botschafter auftritt, um der Stigmatisierung entgegen zu wirken. Sein Verein der EHC Freiburg hat sich solidarisch erklärt und ich finde, dass das auch unseren anderen Vereinen gut zu Gesicht stünde und würde Herrn Breiter an dieser Stelle bitten dieses Thema in die nächsten Gespräche mit den Vereinen mitzunehmen. Allen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in diesem Bereich gilt unser abschließender Dank und allen Betroffenen unsere Solidarität.
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