Strassenumbenennungen: „Eine unmissverständliche Haltung zu Vergangenheit annehmen!“ 13. Juni 201821. September 2020 Eine der Strassen, die umbenannt werden soll, benannt nach Stadtrat Renner, der im 16. Jahrhundert für mehrere Hexenverbrennungen mitverantwortlich war. (Bild: Timothy Simms) Rede der Fraktionsvorsitzender Maria Viethen zu TOP 6, 7 und 8 der Gemeinderatssitzung vom 15.05.18: Benennung von Straßen, Plätzen und Wegen Sehr geehrter Oberbürgermeister, sehr geehrte Damen und Herren, Heute steht erneut das Thema Umbenennung von Straßennamen auf der Tagesordnung. Wir sprechen heute über die Umbenennung der Lexer-Straße in Wilhelm-von-Möllendorf-Straße, die Umbenennung der Hegarstraße in Hilde-Mangoldt-Straße sowie die Umbenennung der bisherigen Rennerstraße in Grete-Borgmann-Sraße. Fraktionsvorsitzende Maria Viethen (Bild: Britt Schilling) Die Anhörung der Anwohnerinnen und Anwohner in der betroffenen Straßen hat noch einmal sehr deutlich vor Augen geführt, wie sehr eine Umbenennung dort als Eingriff empfunden wird. Mir ist auch noch einmal bewusst geworden, dass es sich dabei keineswegs nur um Bedenken gegen den finanziellen Aufwand handelt oder die Umstände, die es macht, sämtlichen FreundInnen, Bekannten und GeschäftspartnerInnen die neue Adresse mitteilen zu müssen. Ich kann nachvollziehen, dass es um mehr geht. Dass Menschen, die seit langem in einer Straße leben und sich dort zuhause fühlen, sich auch mit den Namen der Straße identifizieren und gegen eine Umbenennung streiten. Weil sie das Gefühl haben, dies werde ihnen von oben, in diesem Fall vom Gemeinderat übergestülpt. Ich muss gestehen, dass mich dies auch durchaus ins Schwanken gebracht hat, was die Umbenennung von Straßen im Stadtgebiet angeht. Trotzdem – das wird die Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal enttäuschen – glaube ich, dass es richtig ist, wenn der Gemeinderat als oberstes Organ der Stadt ein Zeichen setzt, mit dem sich die Stadt eindeutig distanziert von Menschen, die zwar jeder für sich große Verdienste in ihrem Leben erworben haben – sonst hätte die Stadt sie zur damaligen Zeit nicht geehrt –, die jedoch durch bewusstes Verhalten und die Wirkung ihres Handelns auf die umgebende Stadtgesellschaft in einem Maß das Gebot der Menschlichkeit verletzt haben, dass eine Ehrung durch die gesamte Stadt aus heutiger Sicht völlig undenkbar ist. Das ist in jedem Einzelfall ein schwieriger Abwägungsprozess und ich habe durchaus Respekt vor den Mitgliedern des Hauses, die zu einem anderen Ergebnis kommen. Wenn wir uns jedoch die einzelnen Fälle ansehen, so halte ich dies für eindeutig: 1. Erich Lexer Das Sachverständigengutachten, das die Stadt durch Herrn Professor Martin und die ihn begleitenden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hat erstellen lassen, hat gewürdigt, dass Lexer ein bekannter und bedeutender Chirurg seiner Zeit war. Sein Arbeitsgebiet war vor allen Dingen die plastische Chirurgie. Er hat vielen Menschen geholfen, die im Ersten Weltkrieg verstümmelt worden sind, und galt als der Vater der Wiederherstellungschirurgie. Lexer war jedoch auch ein glühender Verfechter der nationalsozialistischen Denkweise. Noch mit 66 Jahren ist er im Jahre 1933 förderndes Mitglied der Allgemeinen SS geworden, Himmler hat ihn noch vier Wochen vor seinem Tod zum Obersturmbannführer ernannt. Entscheidend ist für mich aber die Tatsache, dass Erich Lexer als Leiter der Chirurgischen Klinik in München dafür verantwortlich war, das 1.050 Menschen zwangssterilisiert worden sind. Dies ist nicht zufällig unter seiner Leitung der Klinik geschehen, hat er doch viel beachtete Fachbeiträge über die Eingriffe zur Unfruchtbarkeit des Mannes geschrieben, um sog. erbkranken Nachwuchs zu verhindern. Ich bitte um Verständnis auch bei den Anwohnerinnen und Anwohnern der Straße, dass meine Fraktion bei der Entscheidung bleibt, diese Straße umzubenennen. 2. Alfred Hegar Auch Alfred Hegar war ein berühmter Arzt seiner Zeit auf dem Gebiet der Gynäkologie und Geburtshilfe. Er starb im Jahre 1914 im Alter von 84 Jahren als Ehrenbürger der Stadt Freiburg. Gleichzeitig jedoch hat er über das menschen– und frauenverachtende Denken hinaus, das zu seiner Zeit in weiten Kreisen der Bevölkerung üblich war, seine Stellung und seine Bekanntheitsgrad genutzt, um rassistisches und eugenisches Gedankengut zu verbreiten. Er war, so das uns vorliegende Gutachten, »einer der ersten Fürsprecher einer staatlichen Regulierung der Fortpflanzung und einer rassenhygienisch begründeten Eugenik«. Diese Wirkung seiner Schriften wurde durchaus gesehen und gewürdigt. Ein Jahr nach dem Ausscheiden von Alfred Hegar aus der hiesigen Universitätsklinik wurde er Ehrenmitglied der neu gegründeten Berliner Gesellschaft für Rassenhygiene. Ich bitte die Bewohnerinnen und Bewohner der Hegarstraße um Verständnis dafür, dass meine Fraktion trotz des Verständnisses für Ihre Bedenken für eine Umbenennung der Straße stimmen wird. Aus Sicht der Gesamtstadt kann es nicht sein, Alfred Hegar in dieser Weise hervorzuheben und zu ehren. 3. Johann Jakob Renner Die Anwohnerinnen und Anwohner der Rennerstraße in Freiburg sagen zurecht, dass sich ohne das Sachverständigengutachten niemand mehr daran erinnert hätte, wer Johann Jakob Renner denn eigentlich gewesen ist. Und da haben sie recht. Mir war dies auch nicht bekannt, obwohl es ja schon einige stadtgeschichtliche Untersuchungen und Publikationen über die Zeit der Hexenverfolgung in Freiburg gegeben hat. Hätten Sie mich vor zwei Jahren gefragt, nach wem die Rennerstraße benannt ist, so hätte ich es nicht gewusst. Jetzt weiß ich es aber. Johann Jakob Renner war ein wohlhabender Bürger der Stadt, der in hohen Ämtern fungiert hat. Gelebt hat er im 16./17. Jahrhundert. Er hat sich vor allen Dingen Verdienste um die Stadt erworben, weil er sein beträchtliches Vermögen bei seinem Tod den Armen der Stadt Freiburg vermacht hat. Johann Jakob Renner war jedoch gleichzeitig zuständig für das Gerichtswesen und war für die Verfolgung und den Tod zahlreicher Frauen, die gefoltert und als Hexen hingerichtet wurden, persönlich verantwortlich. Hexenverbrennungen waren nicht nur religiösem Aberglauben geschuldet, sondern vor allem auch Demonstrationen der Macht, mit denen die gesellschaftliche Elite, insbesondere der männliche Teil dieser Elite, ihre Machtposition gestärkt hat. Johann Jakob Renner wirkte zu einer Zeit, als bereits eine breite gesellschaftliche Diskussion über den sogenannten Hexenwahn geführt wurde, und es klare und begründete Stellungnahmen gegen diesen Wahn gab. Nach allem was wir wissen, hat Johann Jakob Renner sehr wohl gewusst, was er tat. Möglicherweise war sein Testament, mit dem er Mitgefühl für die Armen der Stadt zeigte, auch ein Zeichen der Reue für das fehlende Mitgefühl für die Frauen, die durch seine Mitwirkung auf so qualvolle Weise haben sterben müssen. Nachdem wir nun wissen oder schließen müssen, wofür Johann Jakob Renner in seiner Zeit gestanden hat, ist es meiner Meinung nach unmöglich, ihn weiter durch die Benennung einer Straße zu ehren. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich mir so viel Zeit genommen habe, noch einmal auf die einzelnen Umbenennungen einzugehen. Ich denke jedoch, dass die Äußerungen, die nun aus der Anhörung der Betroffenen aus den jeweiligen Straßen vorliegen, noch einmal einen Abwägungsprozess erforderlich gemacht haben. In diese Abwägung müssen jedoch nicht nur die Interessen der betroffenen Einwohnerinnen und Einwohner, sondern auch das Interesse der gesamten Stadt einbezogen werden, eine unmissverständliche Haltung zu ihrer Vergangenheit anzunehmen und diese auch im Stadtbild präsent werden zu lassen. Im Kulturausschuss ist vor nicht einmal zwei Wochen das neue Gutachten über die koloniale Vergangenheit der Stadt vorgestellt worden. Die Lektüre kann ich nur dringend empfehlen. Ich möchte, dass auch im Gemeinderat noch einmal darüber gesprochen wird. Bemerkenswert ist meines Erachtens vor allen Dingen, dass in Deutschland und speziell in Freiburg ein koloniales Weltbild gepflegt wurde noch zu einem Zeitpunkt, zu dem Deutschland überhaupt keine Kolonien mehr hatte. Auch heute brauchen fremdenfeindliche Ideologien keine Grundlage in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Ich wünsche mir, dass weiter geforscht wird, und der Frage nachgegangen wird, in welcher Weise sich die koloniale Haltung in unserer Stadt gesellschaftlich fortgesetzt hat bis in den Nationalsozialismus, und ob und wie ein historischer Nährboden für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bis in die heutige Zeit fortwirkt. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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