„Für Klimaschutz UND sozialen Zusammenhalt“

Fünf Jahre nach dem Bürgerentscheid, knapp zwei Jahre nach der ersten Diskussion zum Bebauungsplan „Dietenbach – Am Frohnholz“ und gut zwei Monate nach der Anpassung des Flächennutzungsplans steht der neue Stadtteil heute wieder im Zentrum des Interesses. Mittags wurde bei einem Spatenstich mit Bundeskanzler Scholz der offizielle Startschuss gefällt, abends diskutiert der Gemeinderat den überarbeiteten ersten Bebauungsplan. Die Fraktionsvorsitzende Sophie Schwer geht in ihrem Beitrag auf die wesentlichen Vorzüge Dietenbachs ein und Stadtrat Jörg Dengler in seiner Rede auf die Klimabilanz des neuen Stadtteils.

Reden von Sophie Schwer und Jörg Dengler zu TOP 1 der Gemeinderatssitzung vom 27.02.2024: „Bebauungsplan mit örtlichen Bauvorschriften und Ausgleichsflächen auf den Gemarkungen Freiburg, Lehen, Waltershofen, Opfingen und Hochdorf ‚Dietenbach – Am Frohnholz‘, Plan-Nr. 6-175“ (G-24/002)

Rede von Stadträtin Sophie Schwer

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrter Herr Baubürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,

fast auf den Tag genau fünf Jahre nach dem Bürgerentscheid ist Dietenbach heute erneut das große Thema. Und weil die Badische Zeitung schon den ganzen Tag im Live-Ticker rauf und runter berichtet nur drei wesentliche Punkte:

Dietenbach ist Teamarbeit
Auch wenn es heute viel um die Promis in der Stadt ging:
Es ist ein Stadtteil der ganz breiten Beteiligung: Bürgerentscheid, Einbindung von Zufallsbürger*innen, Workshops etc. – dazu viele Vorlagen, die hier im Gemeinderat intensiv diskutiert und mit großer Mehrheit beschlossen wurden: Rahmenplan, Kosten- und Finanzierung, Energiekonzept, Entwicklungsziele, Gemeinschaftsschule, Revitalisierung der Dreisam, Straßenbahntrasse – auch wenn man mit einzelnen Punkten nicht einverstanden sein mag: Dietenbach ist eindeutig gelebte Demokratie!

Das zweite wichtige: Wir schaffen Platz!

Stadträtin Sophie Schwer (Bild: Britt Schilling)

Und wir wissen genau für wen wir bauen. Ich greife mal das Beispiel Familien raus (nicht nur, weil hier im Gremium auch alle naslang Kinder geboren werden): In unserer Wohnraumanalyse kam heraus: Wohnraum für Familien ist in Freiburg meistens zu klein oder zu teuer oder zu klein UND zu teuer.
Auch die Süddeutsche Zeitung schrieb letzte Woche, dass in Großstädten einige auf zu viel Platz, aber fast alle Familien auf zu wenig Platz wohnen. Das bedeutet weniger Zimmer als Personen im Haushalt. „Rückzugsmöglichkeiten fehlen, Konflikte kochen hoch, der Stressfaktor steigt“. Das ist teilweise bis in die Schulleistungen der Kinder sichtbar. Klar, wenn der Küchentisch für Essen, Home Office und Hausaufgaben gleichzeitig herhalten muss. Dietenbach zeigt: wir scheuen keine Kosten und Mühen um das anzugehen.

Drittens noch: Manch einer mokiert sich über den Besuch des Bundeskanzlers heute.

Dabei drückt der Besuch doch Wertschätzung für das aus, was wir hier machen. Und angesichts der sozial und ökologisch ambitionierten Ziele ist es doch gut, wenn nicht ein x-beliebiges, autogerechtes Einfamilienhaus-Neubaugebiet in einer anderen Stadt bundesweite Strahlkraft bekommt, sondern gerade unser Dietenbach.

Es bedrückt mich persönlich, dass solch ein Besuch nur noch unter dermaßen hohen Sicherheitsstandards stattfinden kann. Glücklicherweise verlief heute alles friedlich, nicht wie kürzlich in Biberach. Und dennoch spüren wir eine zunehmende Polarisierung, Unversöhnlichkeit, eine Absage an Kompromisse und demokratischen Austausch.

Die große Leistung des Projektes Dietenbach ist sorgsames Austarieren so vieler Bedürfnisse, Verpflichtungen, Ideen, Beschränkungen und Machbarkeiten. Alle hatten endlos Sonderwünsche, ich nehme uns Grüne nicht aus: von ambitionierten Mobilitätskonzepten bis hin zur Grauen Energie, wollen wir alles realisieren, was es zur Klimaneutralität braucht.

Ich bin besonders dankbar, dass dieses Projekt so gut und souverän gesteuert wird seit Jahren und dass wir einen fähigen und standhaften Projektleiter haben, der nicht nur ein ausgewiesener Baurechts-Experte ist, sondern auch ein ausdauernder Verhandler, ein echter Demokrat. Die heutige Drucksache ist wohl die letzte große, die seinen Namen trägt, bevor ab April dann Herr Pfau übernimmt. Vielen Dank, Herr Engel, für alles, was Sie in das Projekt Dietenbach gesteckt haben!
Danke schön!

Rede von Stadtrat Jörg Dengler

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Horn,
sehr geehrte Bürgermeister*innen,
liebe Kolleg*innen im Gemeinderat,
sehr geehrte Zuhörer*innen und Engagierte der Initiativen zum Erhalt des Dietenbachwaldes,

der Gemeinderat beschließt heute mit dem Entwurf des Bebauungsplans Frohnholz und der Erschließung des neuen Stadtteils Dietenbach auch die Waldumwandlung für die Trasse der Stadtbahn Dietenbach, 0,5 ha durch das Langmattenwäldchen.

Im Artenschutzgutachten dazu steht, dass für 15 Vogelarten kein Ausgleich geschaffen werden kann für ihre mit dem Bau des neuen Stadtteils wegfallenden Habitate. Das Bündnis „Hände weg vom Dietenbachwald“ hat die meisten hier ja in den vergangenen Tagen nochmal angeschrieben und das eindrucksvoll am Beispiel des Kuckucksrevieres im Langmattenwald geschildert.

Stadtrat Jörg Dengler

Viele hier kennen mich als Vertreter von Umweltverbänden (VCD, BUND, in meiner Freizeit bin ich auch im Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel aktiv).

Das Thema Wald setzt naturgemäß Emotionen frei. Diese sind legitim, ein wichtiger Antrieb zu handeln und sie müssen ernst genommen werden. Gleichzeitig halte ich es für wichtig, sich über die eigenen Emotionen bewusst zu werden und den Zugang zur Sachebene offenzuhalten. Dies ist eine Verantwortung, die Aktivist*innen immer haben.

Ich halte es auch für legitim, zugunsten eines politischen Zieles mit diesen Emotionen kommunikativ zu arbeiten (solange die Grenze zum Populismus nicht überschritten wird). Hier kommt es dann allerdings stark auf das Ziel an:

„Hambi bleibt“ hat (neben dem ökologischen Aspekt des Erhaltes des Hambacher Waldes) den Kohleausstieg zum Ziel. Ein Ziel, das in der Bundesrepublik wohl eine Mehrheit teilt, die verstanden hat, dass Kohlenstoff unter der Erde bleiben muss.

„Danni bleibt“ richtete sich (neben dem ökologischen Aspekt des Erhaltes des Dannenröder Forstes ) gegen einen Autobahnbau mit dem Ziel, verkehrsbedingte THG-Emissionen zu reduzieren oder zumindest nicht weiter ansteigen zu lassen.

Bei „Dieti bleibt“ werden die meisten von uns eine Umwelt bezogene Zielrichtung zumindest assoziativ annehmen. Doch trifft das tatsächlich zu?

Als Physiker habe ich nun einfach das getan was ich ganz gut kann: NACHRECHNEN, auch um mein emotional motiviertes Bedürfnis, den Wald zu schützen, zu überprüfen.

Das Ziel der städtebaulichen Maßnahme ist die Schaffung von in Freiburg und dem Einzugsgebiet stark nachgefragten Wohnraum mit möglichst kleinem schädlichem Einfluss auf Klima und Umwelt.

Die Freiburger*innen habe mehrheitlich so entschieden und auch das Bündnis Hände weg vom Dietenbachwald stellt sich dem nicht entgegen.

Deshalb erlauben Sie mir beispielhaft die Betrachtung der Alternativen unter Klimaschutzaspekten:

Pro Hektar erhaltene Waldfläche würden in Bäumen und Boden ungefähr 400 t C02/ha gespeichert bleiben.

Auf demselben Hektar könnten auch rund 100 Wohnungen gebaut werden.

Andernfalls würden diese Wohnungen in der Umgebung oder auch als Nachverdichtung realisiert werden. Typischerweise liegt die Geschossflächenzahl in Bestandsgebieten und besonders im Umland um den Faktor 1,5 (Mehrfamilienhausgebiete) bis 3 (Einfamilienhaussiedlungen) niedriger als in Dietenbach. Schon allein dies würde dazu führen, dass selbst wenn andernorts auf ökologisch geringwertigen Ackerflächen (100 t C02/ha Speicherfähigkeit) gebaut würde, der Verlust an CO2-Speicher aufgewogen wäre!

Was aber ins Gewicht fällt für den Klimaschutz:
Die mit dem Bauen der 100 Wohnungen verbundenen Emissionen: die sogenannten „grauen Emissionen“ beim Bau, und die Emissionen durch das Bewohnen in den Jahren danach, sind absolut dominierend. Als Stadt Freiburg und als Stadtgesellschaft entscheiden wir darüber, ob mit 2000 t CO2 Emissionen gebaut wird, oder mit 4000 t (aufs Hektar umgerechnet). Wir entscheiden darüber, ob mit 0 Emissionen oder mit 1000 t CO2-Ausstoß in den nächsten Jahrzehnten geheizt wird, und wir entscheiden darüber, ob jede*r Zweite mit dem Auto zur Arbeit fährt oder jede*r Vierte.

Mit einer klugen Realisierung des Stadtteils Dietenbach haben wir es also in der Hand, pro Hektar mehrere tausend Tonne CO2 einzusparen! Deshalb mein Appell an uns alle: dafür lohnt sich unser Einsatz!

Zurück zum Kuckuck: Im Artenschutzgutachten steht: „Im Zusammenhang mit störungsbedingten Verlusten (Lärm, visuelle Reize, Erholungsnutzung) und der Zerschneidungswirkung durch die Infrastruktur kommt es im Langmattenwald [ … ] zu einem vollständigen Verlust der genannten Fortpflanzungs- und Ruhestätten.“

Das heißt: Das Revier geht tatsächlich mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Bau des Stadtteils verloren, und zwar unabhängig von der Lage der Straßenbahntrasse.

„Für den Kuckuck können 13 ha Wald in der Freiburger Bucht aufgewertet werden. Die Waldmaßnahmen haben eine Entwicklungszeit von 5-20 Jahren (je nach Ausgangszustand) Jahren und wirken populationsstützend. Eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Population kann somit vermieden werden.“

Nur deshalb ist es zulässig, für Dietenbach eine artenschutzrechtliche Ausnahme zu machen, denn die städtebauliche Maßnahme Dietenbach erfüllt überdies – Stichwort dringender Wohnraumbedarf – das zweite zwingende Kriterium des überwiegenden öffentlichen Interesses.

Rein auf der Sachebene: Zulässig heißt hier nicht, „bei gutem Willen könnte man es auch lassen“. Zulässig heißt hier: „Für den Klimaschutz UND den sozialen Zusammenhalt müssen wir so entscheiden.“

Meine Bitte nun an Sie, die Aktivist*innen: Überdenken Sie, ob die gewählte Positionierung und die Aktionsformen einer sachlichen Prüfung hinsichtlich ihrer Ziele standhalten und tatsächlich mehr ausdrücken als ein bloßes „gefühltes“ Eintreten für Umwelt-, Klima- und Artenschutz.